»Politisches Erdbeben« in Kosovos Hauptstadt

Bei Bürgermeisterwahlen in Pristina gewann der Kandidat der oppositionellen Bewegung Vetëvendosje

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Bürgermeisterwahl in Kosovos Hauptstadt Pristina endete mit einer Sensation: Gewonnen hat Shpend Ahmeti, Kandidat der Oppositionspartei Vetëvendosje.

Er werde vom ersten Tag an gegen illegal errichtete Gebäude vorgehen, verspricht Shpend Ahmeti, der 35-jährige Überraschungssieger der Bürgermeisterwahl in Kosovos Hauptstadt Pristina: »Alles, was gesetzwidrig errichtet ist, wird abgerissen.« Seit 1999 hatte in Pristina die einst von »Landesvater« Ibrahim Rugova gegründete Demokratische Liga Kosovos (LDK) das Sagen. In der ersten Runde der Bürgermeisterwahl lag LDK-Chef Isa Mustafa als Amtsinhaber auch noch mit rund 8000 Stimmen vor Ahmeti, der für die radikale Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) ins Rennen ging - und den Spieß in der Stichwahl umdrehte: Er triumphierte mit 2480 Stimmen Vorsprung knapp.

Von einem »politischen Erdbeben« schrieb die Zeitung »Koha Ditore«. Ein »Nationalist« stehe nun an der Spitze der Kosovo-Hauptstadt, meldeten die Agenturen. Tatsächlich vertritt Vetëvendosje gegenüber Serbien, der serbischen Minderheit, aber auch den EU- und NATO-Institutionen unversöhnliche Positionen und macht sich für eine »Wiedervereinigung« mit Albanien stark. Doch Ahmeti gilt als wirtschaftsliberaler Pragmatiker - und Verfechter einer Öffnung der Partei. Seinen Wahlerfolg schreiben Beobachter vor allem dem Verdruss über den Korruptionssumpf in Pristina zu.

An der Amerikanischen Universität in Sofia hatte Ahmeti Ende der 90er Jahre Wirtschaftswissenschaften studiert, an der Harvard Universität 2004 seinen Master gemacht. Als Direktor des Wirtschaftsinstituts GAP in Pristina lieferte er bittere, aber profunde Analysen seines Landes, weshalb er von heimischen Medien jahrelang als künftiger Wirtschaftsminister Kosovos gehandelt wurde. 2010 wagte er tatsächlich den Sprung in die Politik, gründete mit Gleichgesinnten die Reformpartei FER, musste sich jedoch bei Parlamentswahlen mit mageren 2,2 Prozent der Stimmen bescheiden. Die Reste der FER, die für ethnischen Ausgleich eintrat, schlossen sich danach überraschend den unversöhnlichen Kämpfern der Vetëvendosje an.

Als Bürgermeister von Pristina, wo ein Drittel von Kosovos Wählern lebt, könnte sich Ahmeti bei erfolgreicher Amtsführung eine Machtbasis schaffen und selbst Premier Hashim Thaci Konkurrenz machen.

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