Der Tag, als Luzi-M verstarb

Linke Münchener Internetzeitung stellte Betrieb ein - alternative Medienprojekte tun sich in der Stadt schwer

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach mehr als fünf Jahren stellte zu Monatsbeginn die linke Münchener Internetzeitung Luzi-M ihr Erscheinen ein. Die junge autonome Szene zeigte immer weniger Interesse, sagen die Macher.

Am Montag wurde der kritische Kabarettist Dieter Hildebrandt unter großer Anteilnahme auf einem Münchner Friedhof beerdigt. Bereits einen Tag zuvor war Luzi-M still und unbemerkt von uns gegangen. »Am 01.12.2013 hat die ›linke unabhängige Zeitung - luzi-m.org‹ ihren regulären Betrieb eingestellt«, ist inzwischen auf der Luzi-Homepage (www.luzi-m.org) zu lesen. Erneut ist in der bayerischen Landeshauptstadt ein linkes Medienprojekt gescheitert. »Es gab zu wenig Leute, die daran mitwirken wollten«, sagt Martin Müller von der Kernredaktion. »Irgendwann macht das keinen Sinn mehr.«

Die Münchner Medienszene hat eine lange Tradition, was über kurz oder lang gescheiterte linke Medienprojekte anbelangt. Urgroßmutter war dabei die Münchner »Stattzeitung« aus den 1970er Jahren, die allerdings zeitweise sehr erfolgreich war, bis sie 1984 wieder verschwand. In München hieß sie »Blatt«, dort spiegelten sich die sozialen und politischen Bewegungen dieser Zeit wieder - von der in München eher marginalen Hausbesetzerszene über die Antiatomkraftbewegung bis hin zu Debatten über die »Rote Armee Fraktion«. Es ging um das Thema Schwarzfahren und die Preise für U- und S-Bahn (59. Blatt/Dezember 1975), um den »Atomkrieg« in Brokdorf (81. Blatt November 1976), darum, wie man Abhörwanzen erkennt (91. Blatt, April 1977) - oder um die Beobachtung der Blatt-Redaktion durch die Polizei (93. Blatt, Mai 1977).

Und noch lange Zeit danach gab es immer wieder Versuche, »alternative«, eher nichtkommerzielle Blätter parallel oder in der Nachfolge des »Blatts« zu etablieren, auch überregional. 1977 erschien »Die Mühle - alternativzeitung für süd-ost-bayern«, herausgegeben von der »Wohngemeinschaft Unteraichgarten« in Rottenburg mit »Tips zum Kräutersammeln« und Artikeln über »Die Machtergreifung der CSU im bayerischen Rundfunk« (März 1978).

Im Jahr 1983 kam in München die »Münchner Rundschau - Wochenzeitung für Bayern und die Welt« auf den Markt, 1985 »ex-presso bayern - das Stadt-Land-Magazin«. Beharrlichkeit und publizistischer Durchhaltewille der alternativen Szene zeigten sich in Blättern wie »Spion - Zeitung für München«. Darin hieß es 1985, knapp ein Jahr nach dem Ende des »Blatts«: »eine Zeitung für München (nur anders) ... um Informationen und Meinungen zu verbreiten, die die bürgerliche Presse verschweigt« (April 1985). Themen waren Wohnungsnot in München oder Prozessberichte. Drei Jahre später ist das Projekt freilich in einer eher prekären Phase: »Zuerst ist der Christoph ausgestiegen, dann die Astrid, dann Marion und Jo und die verbleibenden drei Leute sind ein bißchen wenig für eine Zeitung, zumal sie wieder mit Zweifeln hinsichtlich der Qualität derselben geplagt werden« (Nr. 66/Sommer 1988). Der Adressat der Zeitung, die alternative Szene, hatte sich in München zu eher homöopathischen Größen hin ausgedünnt.

Weniger alternativ als linkspolitisch-konkret angehaucht war der 1977 gegründete »Bayerische Informationsdienst«, der dem Frankfurter »Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten« nachempfunden war. Ähnlich der seit 1973 erscheinende »Martin-Greif-Bote - Zeitschrift für Gesellschaftskritik und Literatur«, die von dem Schriftsteller Heinz Jacobi herausgegeben wurde. Hinzu kamen die Publikationen der linken Parteien und K-Gruppen wie der »KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung« des Münchner »Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD« oder örtliche Betriebszeitungen der DKP wie »Die Lok«, eine Betriebszeitung der DKP für »die Beschäftigten der DB München«.

Das ist alles mittlerweile Staub der Geschichte, doch das Bedürfnis nach Medien jenseits des Mainstreams scheint bestehen zu bleiben. 2001 gründete sich aus der Szene um das autonome Münchner Kulturzentrum »Kafe Marat« - nun das neue Medium Internet nutzend - eine Website unter dem Namen indynews-net. Diese existierte bis 2007, als im Zuge der Mobilisierung für die Großdemonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm die Polizei Razzien gegen linksautonome Projekte durchführte und es zu Gerichtsverfahren kam. Als Reaktion wurde 2008 mit »Luzi-M« eine Website für München aus der Taufe gehoben, die vor allem auf die Anonymität der Macher setzte. »Wir als Redaktion wollten nicht öffentlich auftreten«, sagt Luzi-M-Macher Martin Müller.

Die Netzzeitung bot einen Veranstaltungskalender an, der zunächst gut angenommen und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt wurde. Hinzu kamen Artikel und Berichte von außen und von der Redaktion geschrieben, etwa über die Aufsplitterung der Teilnehmer an der »Nato-Sicherheitskonferenz« in München. Es ging um die Themen Antifaschismus, Freiräume und Feminismus, aber auch um Kultur und Kunst. Zielpublikum war, so der 35-jährige Müller, die junge autonome Szene von 18 bis 30 Jahren. Die aber zeigte immer weniger Interesse. Vielleicht lag es daran, dass die Redaktion nicht gewillt war, jeden Beitrag unkritisch zu übernehmen und lediglich als Sprachrohr von Gruppen aufzutreten. Das Team aber konnte nicht jede Woche neue Artikel liefern - die Besucherzahlen nahmen stetig ab. Und auch der Terminkalender wurde nicht mehr von außen aufgefüllt - was an der verstärkten Nutzung von Blogs, Facebook und Mailinglisten liegen könne, so die Vermutung der Redaktion. Auch gebe es in der Münchner Linken immer weniger aktive Menschen, so Martin Müller.

In der Folge schrumpfte die Redaktion von ursprünglich zehn auf zwei bis drei Macher, die Anonymität erschwerte das Bekanntwerden der Netzzeitung, die Nutzerzahlen fielen weiter. Seit dem 1. Dezember besteht Luzi-M nur noch als Archiv. Damit ist die linke Netzzeitung den gleichen Weg wie viele ihrer Vorgänger gegangen: Sie ist Geschichte.

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