Sarkasmus auf höchstem Niveau

Ernst-Ludwig Petrowsky, der Urvater des DDR-Jazz, wird 80

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 4 Min.

In dem Film »Das Leben der Anderen« spielte er eine Gastrolle; seine Musik erklingt, wenn Martina Gedeck und Sebastian Koch miteinander tanzen. Die Klänge von Ernst-Ludwig »Luten« Petrowsky stehen hier schlechthin für den Sound der DDR. Der Saxophonist, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, war einer der wichtigsten Jazzmusiker in der DDR. Und ist auch im vereinten Deutschland ein ganz Großer.

Petrowsky wurde 1933 im mecklenburgischen Güstrow als Sohn eines Papierhändlers geboren. Er genoss eine gutbürgerliche Erziehung mitsamt klassischer Musik, die ihn zum Geigenstudium nach Weimar führte. Im amerikanisch besetzten Thüringen lernte er jedoch den Jazz kennen; daraufhin sattelte er um auf Altsaxophon. Ab Mitte der 50er spielte Petrowsky in verschiedenen Tanzcombos; später gründete er zusammen mit dem Saxophonisten Manfred Schulze das Manfred Ludwig Sextett. Auch hier lagen noch Schlager auf den Notenpulten, jedoch in eigenwilligen Arrangements, die in der DDR längst nicht so gut ankamen wie in der Tschechoslowakei, wo die Band bei dreimonatigen Engagements in großen Hotels Erfolge feierte.

Den Startschuss für eine eigenständige Entwicklung des DDR-Jazz gab das 1967 gegründete Rundfunk-Ensemble »Studio IV«, in dem Petrowsky als Musiker und Komponist mitmachte. Die Band reiste sogar zum Montreux Jazz Festival in die Schweiz (Petrowsky erinnert sich des riesigen Publikumsrondells und all der Fernsehkameras als »psychologisch furchtbar«).

Die Inspiration, traditionelle Formen und Spielweisen hinter sich zu lassen, fand der Musiker bei dem großen amerikanischen Free-Jazz-Pionier Ornette Coleman, dessen Kompositionen er in einem Buch entdeckt hatte. Außerdem blickte er aufmerksam nach Polen, wo die Szene um Krzysztof Komeda ihren Beitrag zu einer eigenständigen Entwicklung des europäischen Jazz leistete.

1973 tat sich Petrowsky mit dem Posaunisten Conny Bauer, dem Pianisten Ulrich Gumpert sowie Günter Sommer am Schlagzeug zur ersten Free-Jazz-Gruppe der DDR zusammen. Ein paar Jahre lang spielten die vier unter dem Namen »Synopsis«. 1984 vereinten sie sich erneut, diesmal als »Zentralquartett« - in ironischer Anspielung auf das Zentralkomitee der SED. Ein Plakat, das allerdings nur im Westen verbreitet wurde, zeigte die Musiker im Profil - nachempfunden der in den Anfangsjahren der DDR allgegenwärtigen Darstellung von Marx, Engels, Lenin und Stalin.

Die Mitglieder des Zentralquartetts waren mit ihren verschiedenen Besetzungen auch die wichtigsten Figuren der Jazzwerkstatt Peitz. Bei diesem jährlichen Open-Air-Festival in der Kleinstadt bei Cottbus traf sich die gesamte Elite europäischer Improvisatoren.

1978 erlangte der Jazz in der DDR staatliche Anerkennung; zugleich verbesserten sich die Reisemöglichkeiten für die Musiker. Petrowsky konnte einige Platten für das Westberliner Label FMP aufnehmen. 1981 erhielt er sogar ein Visum für eine dreiwöchige USA-Tournee - als erster Jazzer der DDR.

Ulli Blobel, der die Jazzwerkstatt in Peitz organisierte, erinnert sich daran, wie Petrowsky das DDR-typische sich Durchlavieren vollzog. »Mal schimpfte er, mal schmeichelte er; vereinnahmen ließ er sich jedoch nie. Er begegnete der Situation mit scharfem Sarkasmus auf höchstem Niveau, der wohl oft gar nicht verstanden wurde. Im Nachhinein staune ich, dass es nie einen größeren Eklat gab.«

Einmal gab Petrowsky auf der Bühne die Telefonnummer eines Kultur-Staatssekretärs durch. Dieser hatte behauptet, dass die DDR den Jazz intensiv fördere. »Petrowsky bat dann alle, die andere Erfahrungen gemacht hätten, dort anzurufen«, erinnert sich Blobel.

Anfang der 80er lernte Petrowsky seine Lebensgefährtin Uschi Brüning kennen, die als Sängerin mit Schlagern und Tanzmusik durchs Land reiste. »Sie machten anfangs ein kleines Geheimnis aus ihrer Beziehung, da die verschiedenen Szenen nicht gut aufeinander zu sprechen waren«, erzählt Ulli Blobel. »Sie lebten in einer Laubenkolonie in Bohnsdorf, am Rande von Berlin. In einer primitiven Datsche, über der die Flieger von Schönefeld starteten. Das war wirklich abenteuerlich.« Das Paar lebt heute noch dort. Doch inzwischen stehen hier solide Gebäude; und die Schönefelder Nordbahn wurde stillgelegt.

1982 traten Uschi und Luten erstmals im Duo auf, einer Besetzung, der sie sich bis heute widmen. »Ein Résumé« ihrer Beziehung ist die derart betitelte CD, die vor Kurzem beim Label jazzwerkstatt erschien. Sie enthält intime Miniaturen zwischen Überschwang und Schmerz; zwischen Bebop, Soul und Free Jazz. Die beiden knüpfen Poesien aus Lauten, Tönen und Geräuschen, in denen man den Scatgesang einer Ella Fitzgerald ebenso vernimmt wie die sinnlichen Linien eines Ornette Coleman. »The greatest thing you›ll ever learn is just to love and be loved in return«, heißt es in einem Lied, das die beiden perfekt harmonisch, in einer schlichten tonalen Kadenz beenden.

CD: »Ein Résumé« (jazzwerkstatt) Live: 11.12. Hamburg (Talmud-Tora-Schule), 13.12. Berlin (Institut Français). www.jazzwerkstatt.eu

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