Wie Kinder den Winter retten

Im Friedrichstadt-Palast herrscht das »Keinschneechaos«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Beim Titel der neuen Kinderrevue mag Til Schweigers Kinoerfolg von 2007 Pate gestanden haben. Aus den »Kein-ohrhasen« wird in ähnlich unorthodoxer Schreibweise das »Keinschneechaos«. Für das junge Ensemble des Friedrichstadt-Palasts haben Michael Sens & Roland Welke die pädagogisch wertvolle Geschichte um den ausbleibenden Schnee erdacht und die Suche nach ihm »Im Tal der rosa Plüschhasen«, so der Untertitel.

Die Party zum Geburtstag von Emil und Ferdinand könnte fröhlich laufen, tauchte da nicht ein Schneemann auf. Der Frostkern sei gestohlen, klagt er, weshalb sich die Atmosphäre erwärmen, es nicht mehr schneien werde: Wir brauchen keinen Winter, winken die Gäste ab. Nur die beiden Jungen kann er für die Rettungsaktion begeistern. Zwei Stunden und mehrere attraktive Bilder währt ihre Reise bis in die Fabrik des Herrn Hitzeheiß, dem so kauderwelschenden wie schurkischen Produzenten von Plüschhasen. Die dafür verbrauchte Energie lässt alles ringsum schmelzen. Zentrum der Produktion ist jener Frostkern, den ein Code vor fremdem Zugriff schützt. Dass es dem mutigen Emil gelingt, ihn in Erfahrung zu bringen und der Welt das frostig funkelnde Teil zurückzugeben, versteht sich.

Erste Suchstation ist der Märchenwald. Doch Rapunzel wurde ihr Langhaar modisch gekürzt, Hänsel & Gretel sind auf Umschulung, zu Aschenbrödel findet kein Prinz, und Rotkäppchen darf zum Jugendschutz weder Wein bei sich führen noch den Wolf jagen lassen.

Emil erkennt als einziger die Gestalten, helfen kann Pinocchio: Er schickt das Trio zum allwissenden Weißkrebs in die Wasserwelt. Aus Kugeln geben Gestalten dunkle Sinnsprüche von sich. Den schönheitsoperierten Weißkrebs interessiert der Winter droben nicht, er singt lieber Seemannslieder. Freundin Cordelia, Außendienstlerin bei Hitzeheiß, entführt Ferdinand und den Schneemann. Emil, den er so süß findet, schickt der aufgedrehte Krebs zum Blauen Zwerg Pythanakoss, dem Hüter des Universums. Ihm entlockt er den Zahlencode. Ferdinand aber ist Gefangener im Zahnrad-Reich des Hasenproduzenten, der wie einst Pythia Unverständliches ausstößt, von Eingeweihten gedolmetscht wird. Nur Sommerlieder singen wir, wer braucht Schnee, lautet dort das Motto.

Eine knappe Stunde dauert jener erste Teil und zehrt wieder von den technischen Möglichkeiten des Hauses. Was an Bühnenbild für die Wintershow zur Verfügung steht, bezog Jürgen Schmidt-André geschickt in die Kinderrevue ein; wasserflirrend bis galaktisch fallen die Kostüme des Stephan Bolz aus. So wortspielerisch witzig und sachdienlich korrekt Michael Sens die Dialogtexte angelegt hat, sind sie dennoch der kritische Punkt der Revue. Viele Themen schneiden sie in der flapsigen Sprache der Kids an, erste Liebe, Feierfreudigkeit, Mangel an Courage. Aber wer in den Palast kommt, erwartet nicht unbedingt Kindertheater der Gütemarke Grips und Co, sondern Unterhaltung vorrangig über das optische Moment. Wortwitz und Texttiraden, zumal nicht immer verstehbar artikuliert, verpuffen eher und fügen Roland Welkes Regiefluss Zäsuren des Stillstands ein.

Rundum bestes Bild ist der Start in Teil zwei. Unter schwebenden Gestalten, Ballerina, Ballonverkäuferin, Radler, und vor einem Karussell mit Tierfiguren tanzen Hitzeheiß’ Häschen wie die großen Girls, statt des Beinwerfens im Marschtritt, sauber und choreografisch einfühlsam. Hitzeheiß alias Vladislav Zolotarev aus der Wintershow präsentiert gewagte Rola-Rola-Balancen, wird dazu sängerisch angebetet. Ferdinand verbannt er in die Natur, von wo ihn schuldbewusst Cordelia zurückholt. Als Emil zu ihnen stößt, steht der Rettung der Erde nichts mehr im Weg. Unter der auffahrenden Drehbühne schuften Hitzeheiß’ Wesen, bis ihnen die Basis entzogen wird. Während alle ihren Sieg feiern, sendet der Winter ein Zeichen seiner Wiederkehr. Irgendwo anders aber soll die Hasenproduktion weiterlaufen, weil das Böse so rasch nicht aufgibt.

Jubel für berührende Szenen zu Musik von Ballade bis Rap und ein Ensemble, das dem »Keinschneechaos« sichtbar mit Fleiß Leben einhaucht. Lino Riester als kecker Emil, Raphael Neumann als agiler Ferdinand, Miriam Shawa als gestylte Cordelia, Lea Gordin als exaltierter Weißkrebs stehen für ein rundes Hundert singender, tanzender und sprechender Jungtalente zwischen 6 und 16.

Bis 31.1., Friedrichstadt-Palast, Kartelntel.: (030) 23 26 23 26, www.show-palace.eu

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