Naziprotz mit Spiegelbild

Das NS-Regime plante für die »Gauhauptstadt« Hannover Kolossalbauten rund um den Maschsee

  • Hagen Jung, Hannover
  • Lesedauer: 4 Min.
Zur »Reichshauptstadt Germania« wollte Adolf Hitler Berlin umgestalten lassen. Doch auch in den »Gauhauptstädten« sollte monumentale Nazi-Architektur entstehen, so zum Beispiel in Hannover.

Hier hat Hitlers Reichsadler die Zeit überstanden: An Hannovers Maschsee, dem fast 80 Hektar großen Gewässer nahe dem Stadtzentrum, breitet der in Stein gehauene Vogel an einer Säule nach wie vor seine Schwingen aus. In den Krallen hält er den Lorbeerkranz, das Hakenkreuz darin ist 1945 weggemeißelt worden. Am Ufer des Sees, den die Nationalsozialisten von 1934 bis 1936 anlegen ließen, finden sich weitere Zeugen der braunen Zeit. Der bronzene »Fackelträger« etwa mit dem wie zum Hitlergruß erhobenen rechten Arm. Weit schaut der nackte Mann über die Wasserfläche und auf deren Umgebung. Auf das Strandbad, auf Bootshäuser und Schulen. Doch die Sportlerskulptur, so wollten es die Machthaber, sollte ganz andere Bauwerke im Blickfeld haben: einen monumentalen Komplex für die Zwecke des NS-Staates und seiner Partei.

Selbst viele ältere Menschen, die in Hannover aufwuchsen und das »Dritte Reich« bewusst erlebten, wussten nichts Genaues von diesen Planungen und erst recht nichts von der Absicht des Hitlerregimes, das Zentrum der Stadt nach dem Krieg in eine dörfliche Region zu »verlegen«. Über jene Vorhaben informierte unlängst der Geschichtswissenschaftler Sid Auffahrt mit einem Vortrag in Hannovers Historischem Museum.

Bevor die Naziführung seinerzeit offen über das Gauforum sprach, präsentierte sie ausschließlich Projekte, die »gut ankamen« beim Publikum: den Maschsee beispielsweise oder auch das Erholungsgebiet »Lönspark«. Beides entstand um 1936 als »Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung«, genoss auch deshalb viel Sympathie bei der Bevölkerung. Doch bald darauf beherrschten nicht mehr idyllische Teiche und Grünflächen das Konzept zur »Neugestaltung der Stadt«, sondern Kolosse aus Stahl, Stein und Beton.

Wie alle 43 »Gauhauptstädte« Hitlerdeutschlands sollte auch Hannover ein Gauforum bekommen, dazu weitere Monumentalbauten - die meisten direkt am Maschsee und seiner Umgebung. Der für Berlin geplanten aber nie gebauten 305 Meter hohen »Halle des Volkes« entsprach im Hannover-Konzept, wenn auch wesentlich kleiner und ohne Kuppel, die »Halle der Volksgemeinschaft«. In ihrer Nachbarschaft erstreckten sich auf den Entwürfen weitere, wie es hieß, »Bauten der Partei«. Darunter die »Reichsstatthalterei«, ein Stadion mit 60 000 Plätzen sowie ein 400 mal 225 Meter großes »Aufmarsch- und Ausstellungsgelände«.

Gleich doppelt sollte der gewaltige NS-Komplex beeindrucken: als reale Wuchtigkeit und als Spiegelbild im Wasser. Um diesen Effekt so wirkungsvoll wie möglich zu erzielen, war angedacht, den Maschsee von 78 auf 140 Hektar zu vergrößern. Und am Ufer wird ein 105 Meter hoher Glockenturm hochgezogen, hieß es im Konzept - so einer, wie er in Stockholm am Mälarsee steht. Hannovers Stadtbaurat Karl Elkart reiste damals eigens in die schwedische Hauptstadt, um sich über den Turm und dessen Spiegelung im Wasser zu informieren.

Wie im Führerstaat unumgänglich, mussten die Hannoveraner ihre Pläne zunächst dem Diktator in Berlin vorlegen. Hitler befahl einige Änderungen, und vor Ort besah sich sein Stellvertreter Rudolf Heß das Modell des Komplexes, hörte die Erläuterungen von Baurat Elkart und Gauleiter Hartmann Lauterbacher. Dessen Name ruft schreckliche Erinnerungen wach. Als »Aktion Lauterbacher« notiert die Stadtgeschichte seinen Befehl, über 1200 jüdische Menschen aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Sie wurden unter entsetzlichen Lebensumständen in 15 »Judenhäusern« zusammengepfercht, später dann in Vernichtungslager verschleppt.

Nichts von den großspurigen Plänen wurde verwirklicht. Zwar war mit dem Bau eines Fundamentes für den Sitz der Gauleitung begonnen worden, doch für sie entstand statt eines repräsentativen Komplexes ein Bunker. Die Pläne für die Kolossalbauten ruhten während des Luftkrieges, spätestens seit 1943, als Bomben weite Teile der Innenstadt in Schutt und Asche gelegt hatten. Doch der Wahnwitz der Nazis ruhte nicht. Noch im März 1945, einen Monat bevor amerikanische Truppen in Hannover einmarschierten, verfolgten führende Hitlertreue einen abstrusen Plan: In der weitgehend zerstörten Stadt sollte nach dem »Endsieg« nur noch »stehen bleiben, was stehen geblieben ist«. Hannover bekommt dann ein neues Zentrum, so wurde ernsthaft erwogen. Entstehen sollte es zwischen dem Gehrdener und dem Benther Berg, einem 15 Kilometer südwestlich von Hannover gelegenen Höhenzug in dörflicher Region. Für die künftigen Bewohner dort hatten die Planer gewaltige Hochhäuser vorgesehen, ein jedes mit eigenem Bunker. »Luftschutzgerecht aufgelockert« werden sollte das Terrain durch Grünflächen mit Krankenhäusern, Schulen und Sportplätzen. Etwa zehn Türme mit Flugabwehrkanonen sollten das Ganze vor feindlichen Angriffen schützen.

Mit Hitler verschwanden auch all diese Pläne. Noch bis zum 18. Mai 2014 erinnert ein Modell im Historischen Museum an das Gauforum und die anderen Kolossalbauten, die sich nie dem Reichsadler am Maschsee zugesellten.

Geöffnet ist das Historische Museum in der Pferdestraße dienstags von 10 bis 19 Uhr, mittwochs bis freitags von 10 bis 17 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Am 31. Dezember sowie am 1. Januar bleibt das Haus geschlossen.

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