»Nun sind wir dran ...«

Frank Schumann veröffentlichte Briefe aus zwei Weltkriegen

  • Jens Ebert
  • Lesedauer: 3 Min.

Veröffentlichungen von Dokumentenfunden werden in unserer schnelllebigen, medienüberfluteten Zeit fast immer als sensationell angekündigt. Je älter sie sind oder je absonderlicher ihre Entdeckung, desto sensationeller. Die durch Zufall vor mehr als 20 Jahren in einem dörflichen Abrisshaus gefundenen Feldpostbriefe, die diesem Band zugrunde liegen, sind ohne Übertreibung bedeutsam zu nennen. Zumal hier eine Auswahl aus einer über 1500 Briefe umfassenden Korrespondenz einer Familie erfolgte, die beide Weltkriege verbindet. Was dem Leser Anlass gibt, über die These von einem zweiten »Dreißigjährigen Krieg« nachzudenken. Glücklicherweise geriet dieser Fund in die Hände eines Publizisten, der kompetent und sensibel genug ist, das Material fachkundig aufzubereiten.

Im Ersten Weltkrieg wurden ca. 28 Milliarden Postsendungen befördert, nur ein Bruchteil ist erhalten. In den großen Feldpostarchiven in Stuttgart und Berlin lagern jeweils über 100 000 Briefe und Karten. Äußerst selten sind Bestände, die einen längeren Zeitraum überspannen wie der von Frank Schumann präsentierte. Die Briefe zeigen, dass es mit der »Kriegsbegeisterung«, jenem Propagandaprodukt der kaisertreuen und rechts-sozialdemokratischen Presse, dem viele Publikationen bis in die Gegenwart aufgesessen sind, außerhalb des Berliner Regierungsviertels wohl nicht weit her war.

Der 21-jährige Jäger Erich Donath schreibt 1914 aus der Ausbildungskaserne an die Mutter: »Heute, am Tag vor Weihnachten, sind wieder 2 Kompanien weggekommen. Nun sind wir dran, den Totenanzug haben wir schon bekommen.« Die aufsteigende Angst wird fast immer burschikos überspielt: »Du brauchst Dich aber nicht zu ängstigen. Nach dem Krieg kommen wir alle wieder. Oder denkst Du, ich will Naundorf nicht wiedersehen?« Drei Monate später ist Erich tot. Der Briefwechsel mit dem ebenfalls eingezogenen Vater zeigt, wie hartnäckig sich die Mutter weigert, den Tod zu akzeptieren. Sie flieht in den Aberglauben, ihr Herz wird hart: »Wenn doch erst meine Lieben bei mir zu Hause wären! Aber der alte böse Krieg hört nicht auf. Jetzt bringen sie wieder sehr viele fort ... Da habe ich mir gedacht, die können auch ruhig fort, denn ich habe meinen Erich auch hergeben müssen.«

Der Tod ist in beiden Weltkriegen täglicher Begleiter. Der Band illustriert Brechts Bemerkung, dass jener, der den Krieg allein als Schicksal begreift, aus ihm so viel lernt, wie das Versuchskarnickel über Biologie. Eine der Briefeschreiberinnen, Minna Falkenhain, ähnelt Mutter Courage. Sie, die »vor allem nach dem Tode ihres Sohnes 1915 den Krieg zunehmend verfluchte«, trat noch im Jahr des faschistischen Machtantritts 1933 in die Kriegsopferversorgung ein. In ihrem ebenfalls gefundenen Mitgliedsbuch sind die Marken bis 1946 geklebt. Ihr Schwiegersohn Otto Gasse wird Anfang 1941 eingezogen. Da hat Hitler halb Europa unter seine Knute gebracht. Otto schreibt am 4. Februar 1941: »Du willst nicht glauben, dass es mir bei den Soldaten sehr gut gefällt? Ihr solltet mich mal sehen: Ich blühe auf wie eine Rose.« Diese Einstellung wird sich auch später nicht grundsätzlich ändern. Bei der Flugabwehr im Rheinland eingesetzt, ist es ihm in seinem Soldatenleben »noch nicht schwer oder sauer geworden«, wie er im Januar 1944 vermeldet. Otto überlebt das Kriegsende, stirbt aber im September 1945 in einem US-amerikanischen Rheinwiesenlager.

Schumann hat im Vorfeld des 100. Jahrestages des Ersten und 75. des Zweiten Weltkrieges ein äußerst lesenswertes Buch editiert, aus dem man viel über das Einrichten »einfacher« Leute im Alltag des Krieges erfahren kann und darüber, wie er sie veränderte. Der Blick wird auf die »große« Geschichte geweitet, da der Herausgeber am Seitenrand auf Ereignisse des Tages verweist.

Frank Schumann (Hg.): »Was tun wir hier?« Soldatenpost und Heimatbriefe aus zwei Weltkriegen. Verlag Neues Leben. 272 S., geb., 16,99 €.

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