Und täglich grüßt die Zukunft

Kathrin Zinkant über gute und schlechte Vorsätze zum Jahreswechsel, das Männerbild einer Wochenzeitung und die Suche nach Zeitreisenden im Internet

  • Kathrin Zinkant
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Tolle an der Zukunft ist, dass sie ja eigentlich immer jetzt anfängt. Und zwar zuverlässig, Tag für Tag. Bis auf einen Sonderfall: Noch mehr jetzt als sonst beginnt die Zukunft nämlich in der ersten Woche des Jahres.

Als hätten sich Raum und Zeit am Anfang des neuen Kalenders auf unerklärliche Weise verdichtet, sehen sich halbverkaterte Menschen gleich nach Silvester mit einer Fülle von Entscheidungsmomenten, Weichenstellungen und Neuanfängen konfrontiert. Wobei das Präfix »neu« meist im Sinne von »wieder« zu verstehen ist, vor allem, wenn es um die murmeltierartig grüßenden Rauchstopp-Vorsätze, Diätprojekte und Jobveränderungen geht, die nach Auffassung von Psychologen allein deshalb zum Scheitern verurteilt sind, weil ihnen zu großer Ehrgeiz zugrunde liegt. Mal gucken, wie sich dieses Prinzip in Ronald Pofallas Wechsel zur Bahn niederschlägt.

Von derlei ewig wiederkehrendem Alltagskram abgesehen geht es in diesem Jahr aber auffällig oft auch um Neuanfänge im Kopf. Neu denken soll der Mensch. Ganz dringend zum Beispiel - weil: Not! - was Männer und ihre Rolle in der Gesellschaft angeht: Die Fokussierung auf die Gleichberechtigung der Frau hat laut »Die Zeit« nämlich dazu geführt, dass Männer in Bildung, Beziehung und Beruf längst das Nachsehen hätten und sich zunehmend nicht mehr an ihren eigenen Wünschen orientierten, sondern an denen ihrer Partnerinnen. Eine Diagnose, die vor allem die Leserinnen sprachlos zurücklässt. Aber gut. So kann eben der Neuanfang im Selbstverständnis einer Wochenzeitung aussehen.

Wissenschaftler sind da zum Glück abgeklärter. Der britische Quantenphysiker und Wissenschaftsjournalist Michael Brooks (»Free Radicals. The Secret Anarchy of Science«, 2012) etwa fordert ganz universell mehr Denken: Konform mit seiner These, dass wissenschaftlicher Fortschritt in erster Linie das Ergebnis von Kreativität sei und die Fähigkeit zur Vision voraussetze, gelte es, anstelle konkreter Fachgebiete lieber die Beweglichkeit des Geistes zu schulen, um die großen Fragen der Wissenschaft in Angriff zu nehmen.

Zeitreisen zum Beispiel. Die wären nicht nur ein Riesenspaß. Sie könnten darüber hinaus helfen, die Erfolgsaussichten aller Neuanfänge nicht nur einzuschätzen, sondern exakt zu benennen. Schluss mit sinnlosen Vorsätzen, Jobwechseln und neuen Gesetzen. Man müsste nur kurz mal in der Zukunft vorbeischauen - und dann wieder zurück. Die Physik macht hier zwar gern einen auf Spielverderber und behauptet, dass das gar nicht geht, weil so ein rückwärts Zeitreisender dem zweiten Satz der Thermodynamik widerspräche - er müsste schneller sein als das Licht. Und außer im Film hat dergleichen eben noch niemand beobachten können. Wieviele Leute die Party von Stephen Hawking im vorvergangenen Jahr besuchten, ist ebenfalls unbekannt - der Starphysiker verschickte seine Einladung erst nach dem eigentlichen Termin und konnte dem Fest mangels Zeitreisefähigkeit selbst nicht beiwohnen.

Aber ein bisschen nachdenken wird ja wohl erlaubt sein - zum Beispiel darüber, welche Spuren so ein Besucher aus der Zukunft denn in einer Gegenwart hinterließe, in der die meiste Kommunikation übers Internet stattfindet. Denn das Internet vergisst ja nichts. Auch nichts von dem, was jemand zum Zeitpunkt X im Netz veröffentlichte, obwohl er das noch gar nicht wissen konnte. Zwei Physiker von der Michigan Technological Unversity haben deshalb gerade ein Papier veröffentlicht (arxiv.org/abs/1312.7128), in welchem sie drei mögliche Strategien beschreiben. Zum einen suchten die Forscher nach bestimmten Hashtags in Twitter, zum anderen fütterten sie Suchmaschinen mit bestimmten Begriffen aus der Astronomie. Und zu guter Letzt wühlten sie sich durch E-Mails und Twitterdialoge, um die Besucher aus dem Übermorgen zu ertappen.

Vielleicht war der Ehrgeiz etwas zu groß - die Suche verlief bislang jedenfalls erfolglos. Was nach Aussage der Wissenschaftler aber noch nicht heißt, dass es keine Reisenden aus der Zukunft gibt. Und wer weiß: Vielleicht begegnen sie einem weniger im Internet als in dem unerklärlich verdichteten Raum-Zeit-Fenster am Jahresanfang. Und flüstern einem Dinge zu, die bisweilen zu fantastisch klingen, als dass man sie selbst noch zu erleben glaubt.

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