Die Kumpel von rechts

Leo Fischer über die blaubraune AfD-Hoheit bei jungen Leuten am digitalen Tiktok-Stammtisch

Die Tiktok-App ist für viele junge Leute das wichtigste Informationsmedium, die AfD hat dort eine enorme Reichweite.
Die Tiktok-App ist für viele junge Leute das wichtigste Informationsmedium, die AfD hat dort eine enorme Reichweite.

22 Prozent der jungen Menschen würden AfD wählen. Das ist das Ergebnis der aktuellen Trendstudie »Jugend in Deutschland 2024«. Die über zehn Jahre hinweg liebevoll gepflegten Feindbilder stimmen nicht mehr. Würde die ach so linksgrünversiffte Jugend, mit ihren bunten Haaren und ihren verwirrenden Geschlechtsidentitäten, am Sonntag allein zur Wahl gehen, würden wir am Montag von einer braunschwarzen Koalition regiert. Die überall gescholtene Boomer-Generation, die lange als fleischgewordenes Fortschrittshindernis gezeichnet wurde, voller Hass gegenüber allem, was neu oder anders ist, zeigt sich hingegen als Bastion des Fortschritts und des Antifaschismus.

Über die Gründe wird ein großes Rätselraten angestellt. Schnell sind einige mit Generationenschelte bei der Hand: Die heutige Jugend habe halt keine Resilienz, sei im Wohlstand aufgewachsen, heißt es mancherorts. Ob diejenigen, die in den üppigen 70ern und 80ern die Karriereleitern hochgepurzelt sind, hier die richtigen Resilienzprofis sind, sei dahingestellt. Die »tief sitzende mentale Verunsicherung«, die die Autor*innen der Jugend attestieren, werden solche Gesten alternder Kraftmeier wohl kaum heilen.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Viel wahrscheinlicher ist, dass die AfD schlicht die einzige Partei ist, die junge Leute heute überhaupt wahrnehmen. Auf Tiktok werden 25 Prozent der politischen Accounts von den Blaubraunen gestellt; das Netzwerk sympathisierender Influencer*innen ist noch mal größer. Jede Bundestagsrede eines AfD-Abgeordneten, von den Redenschreiber*innen schon passgenau auf minutenlange Videoschnipsel hin formuliert, wird dort in Hunderte kleine Häppchen zerteilt, mit Musik und Grafikeffekten unterlegt, wieder und wieder gepostet. Andere Parteien tauchen nur in hämischen Zitaten von AfDler*innen auf.

Die Strategie ist perfide: Während der Spitzenkandidat für die Europawahl Maximilian Krah wegen seiner Spionageaffäre die analoge Öffentlichkeit meidet, stampft seine Social-Media-Maschinerie munter Video um Video aus der Erde. Auf Tiktok tritt er Freund der Jugend auf, wendet sich an verunsicherte junge Männer, die keine Freundin finden: Väterlich erklärt er ihnen, dass das an der Regierung liege, die traditionelle Männlichkeit bestrafe. Er gibt Tipps, wie man sich gegen »linke Lehrer« wehrt, und gibt sich überhaupt als »Kümmerer«. Die Strategie der 90er-NPD, wegbrechende Sozialsysteme und Gemeinschaften zu kompensieren, wird hier konsequent digital gedacht.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Und was haben die anderen Parteien denn zu bieten, außer neoliberalen Floskeln? Wer sich auf die Programmseite der Grünen begibt, erhält erst mal ein Werbebanner mit dem Spruch »Werde aktiv!« Überall verlangen die progressiven Parteien von der Jugend Engagement, Aktivität, Einsatz für die bessere Welt – das junge Individuum soll richten, wo die alten Institutionen versagt haben. Das implizite Bedürfnis nach Frischfleisch für den Parteiapparat, nach billigen Plakataufhänger*innen trieft nur so aus den Zeilen.

Jahrelang haben die Parteien auf »asymmetrische Demobilisierung« gesetzt – wenn nur unsere eigenen Leute zur Wahl gehen, reicht es schon für unsere Mandate! Lieber keine Inhalte, keine Kontroversen. Währenddessen hat die AfD stumpf Propaganda gemacht – und damit eine Jugend erreicht, für deren Zukunft diese Partei ganz sicher nichts Gutes bedeutet.

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal