Keener hält die Wolffen uff

»Roter Hahn im Biberpelz« als Familienunternehmung am Kudamm

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Kienbaum, Kagel, Erkner? Da stritten sich schon Forscher, an welchem Ort Gerhart Hauptmann die Figuren seiner Stücke »Der Biberpelz« und »Der rote Hahn« wohl angesiedelt habe. Wichtig ist nicht, wo der Dichter Diebeskomödie und Tragikomödie spielen lässt. Wesentlicher erscheint, dass ihm die Mutter Wolffen, die er für die erste Satire auf die morbiden bürokratisch-militaristischen deutschen Verhältnisse 1893 erfand, nicht aus dem Kopf ging. Im Fortsetzungsstück von 1901 lässt er sie unter den gegebenen Umständen zur Kriminellen werden. Über den »Roten Hahn« schrieb der berühmte Theaterkritiker Alfred Kerr nach der Uraufführung: »Die Weber waren das Revolutionsdrama; hier ist das Evolutionsdrama«. Hauptmanns »Die Weber« waren wie »Der Biberpelz« 1893 uraufgeführt worden.

Verdienstvoll und gelungen ist nun an der Komödie am Kurfürstendamm, mit der Inszenierung von »Roter Hahn im Biberpelz« beide Stücke zu einem zu vereinen und damit die »Evolution« deutlich zu machen. Die Uraufführung besonderer Art entstand als künstlerische Familienunternehmung Thalbach-Besson und Gäste - erstklassig gespielt, wie zu erwarten. Ein großer Erfolg.

Jan Liedtke und Philippe Besson, der auch Regie führt, bearbeiteten den Text. Sie kürzten, blieben nah am Buch, verließen sich jedoch nicht immer auf den unschlagbaren Wortwitz Hauptmanns und fügten eigenen ein. Treu blieben sie der Mundart. Eine, wie sie heute noch, die deutsche Grammatik wie einen lästigen Geruch missachtend, nur ein paar Kilometer jenseits der Berliner Stadtgrenze im Brandenburgischen üblich ist. »Uffbegehrt ha ich, das is wahr. Nu ganz natierlich ooch!«, zieht Hauptmanns Heldin Zwischenbilanz. »Ma will ebens aus dam Matsche rauskomm, wo mir alle uns rumbeißen tun mitsamm ...«

Katharina Thalbach gibt der Wolffen, die verwitwet im zweiten Stück mit neuem Mann zur Schustersgattin Fielitz wird, ohne Mühe das Schelmische, das dieser Figur innewohnt. Mit aller Kraft lässt sie diese Frau sich gegen die Not stemmen. Mit der Arbeit, für andere Leute die Wäsche zu waschen, kann sie ihre Familie kaum über Wasser halten. Mitunter gerade mal an der Katastrophe vorbeischlitternd, bewältigt sie durchtrieben jede Situation - von der Thalbach mit großer Komik gezeigt.

Jeder Motivationstrainer könnte vor Neid erblassen, mit welcher Kraft diese Frau andere zu allem Möglichem in Bewegung setzt. Mit »Du hältst mir nee uff!« bringt sie dabei jeden Widerstand zum Versiegen. So wird gewildert und geklaut, was das Zeug hält, und mit Brandstiftung mühelos die Grenze zu einem Verbrechen überschritten, für das ein geistig behindertes Kind des Nachbarn büßen muss. Die Familie zieht mit und den Nutzen daraus.

Tochter Anna Thalbach und Enkelin Nellie Thalbach spielen die Töchter und andere Rollen ebenso mit Bravour. Pierre Besson ist Julius Wolff, der erste Ehemann. Seine große Rolle aber ist die des Amtsvorstehers von Wehrhahn. Großsprecherisch verkündet der Dummheit und Verkommenheit. Auch die kleine Macht, die allein ihm bleibt, wenn ihm jemand gegenübersteht, dem er geistig das Wasser nicht reichen kann. Auf der Würde anderer herumtrampelnd, hofiert er in seiner Beschränktheit wiederum den großen Gauner und Spekulanten, weil man sich mit dem doch besser gut stellt. Hauptmann schuf für diese Figur Bauführer Schmarowski. Den spielt unter anderem Julian Mehne. Andere, fürs Stück nicht weniger wichtige, aber doch im Vergleich harmlose Dorfbewohner werden von Roland Kuchenbuch, Jörg Seyer und Ronny Miersch gegeben.

Die Bühne von Momme Röhrbein ist raffiniert. Zunächst ist sie eine große Treppe. Nicht mehr. Dann werden Schübe aufgezogen, Fächer aufgeklappt, so dass die Wohnung, Fielitz’ Schusterwerkstatt oder die Amtsstube entstehen. Um die Stücke zu verbinden, werden Videoeinspielungen benutzt, die, in die Situation einführend und die Zeitsprünge bewältigend, Tochter Leontines Träume widerspiegeln.

Es gibt viel zu lachen, auch wenn es einem am Ende im Halse stecken bleiben soll. Denn den tragischen Ausgang erspart die Regie bei aller Mühe, das Publikum in der Diebeskomödie zu amüsieren, bei der Tragikomödie nicht.

»Ma langt ..., ma langt ... ma langt nach was.« Das bleibt der Fielitzen - als hilflose Alte von Schmarowski ausgenommen - als Letztes zu sagen.

Bis 23.2., Komödie, Kurfürstendamm 206, Charlottenburg, Kartentelefon: (030) 88 59 11 88, www.komoedie-berlin.de

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