Tante Rosa

Ungewollte Kommentare zum eigenen Handeln aus der Mischpoche haben ihre Tücken

Tante Riwa macht die besten Latkes.
Tante Riwa macht die besten Latkes.

Vor langer Zeit war ich noch viel jünger, als ich heute nicht mehr bin. Damals oder sogar deshalb wollte ich immer wieder etwas tun, was ich besser nicht hätte tun sollen und noch nicht einmal tun wollen, und manchmal auch nicht tun können. In solchen Fällen hörte ich immer: »Wenn du das tust, wird Tante Rosa brojges!« Da habe ich mich natürlich jedes Mal gefragt, was Tante Rosa Brojges genau wird. Doch darauf erhielt ich nie eine Antwort.

Genauso wenig erhielt ich eine Antwort darauf, ob ich Tante Rosa Brojges jemals begegnet war oder ob ich ihr in Zukunft jemals begegnen würde. Denn Tante Rosa war damals schon viel älter, als sie später überhaupt hätte werden können und lebte in einer fernen Zeit, was sie heute übrigens nach wie vor zu tun scheint. Diese ferne Zeit aber ist aber zugleich sehr nah und mit ihr auch Tante Rosa.

Tante Rosa ist so nah, dass ich ihre Nähe immer spüre, sobald ich etwas tun will, was ich besser nicht tun oder noch nicht einmal tun wollen sollte. Das passiert zwar nie, doch jedes Mal spüre ich dabei Tante Rosas Nähe. Und Tante Rosas Nähe ist nicht von der Art, dass man sie jedes Mal spüren wollen würde.

Da würde ich schon viel lieber Tante Riwas Nähe spüren wollen, weil Tante Riwas Nähe auch die Nähe von Latkes bedeutet, oder zur Not die Nähe von Tante Bluma, weil ihre Nähe trotz ihres Namens nicht an eine Blume erinnert und auch sonst an gar nichts, sondern eigentlich überhaupt nicht spürbar ist – und manchmal ist eine Nähe, die nicht spürbar ist, die beste Art von Nähe, besonders wenn es um die Mischpoche geht. Tante Rosas Nähe jedenfalls erinnert auch nicht an eine Rose, ist aber dafür durchaus spürbar, ja bedrohlich und unheimlich, angsteinflößend und schreckeinjagend, sorgenbereitend und kummerverbreitend. Tante Rosas Nähe ist erdrückend und niederschmetternd. Und all das obwohl ich nie wirklich in Tante Rosas Nähe gewesen bin; was wäre also erst, wenn das einmal tatsächlich passieren sollte?

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

Das große Problem oder Dilemma oder Paradox lautet – ich weiß nicht, welcher dieser Begriffe zutrifft, was wiederum ein Problem oder Dilemma oder Paradox ist, wenn auch ein kleineres als das große, und dieses lautet: Ich weiß oft gar nicht, warum ich etwas gar nicht tun oder tun wollen sollte.

Manchmal weiß ich es freilich schon. Zum Beispiel weil es falsch ist oder weil es in der Schrift verboten ist oder sogar beides. Oft weiß ich dann allerdings trotzdem nicht, warum ich es nicht tun sollte, auch wenn es falsch ist oder in der Schrift verboten ist. Dann bete ich in meiner verzweifelten Unwissenheit und in meiner unwissenden Verzweiflung zu Gott.

»Gottenju, Gottenju

»Was ist denn schon wieder, Schlojme? Ich putze mir gerade die Zähne!«

»Na gut, ich frage später!«

»Schloime, jetzt frag schon, du narischer kop! Ich bin Gott, ich kann auch Zähne putzen und gleichzeitig deine albernen Fragen beantworten, und dabei auch noch eine kleine Sintflut über die Welt ausschütten, wenn nötig!«

Also frage ich Gott, warum ich dies oder jenes nicht tun sollte – wozu übrigens auch gehört, dass man Gott besser nicht mit albernen Fragen belästigt, insbesondere wenn er gerade Zähne putzt –, ich frage Gott also, warum ich dies oder jenes nicht tun darf, und Gott antwortet:

»Weil Tante Rosa sonst brojges wird!«

brojges – wütend, böse

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