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Der Mensch im Amt

TV-Tipp »Eine Hand wäscht die andere« von Hermine Huntgeburth

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Kleinstadt, begraben unter den Klängen eines französischen Chansons. So aufreizend harmlos beginnt dieser Film. Man fürchtet unweigerlich so einiges. Aber nein, es ist tatsächlich erst einmal der ganz normale - harmlose - Alltag des Steuerprüfers Chlodwig Pullmann (leibhaftig gewordener Erfindungsreichtum in Beamtengestalt: Ulrich Noethen). Er geht durch seine Stadt und ist allseitiger Aufmerksamkeit gewiss. Der Gemüsehändler, kaum hat er ihn erblickt, läuft mit einem Bund Spargel hinterher. Kleine Aufmerksamkeiten erhalten die Freundschaft.

Chlodwig hat überall Freunde. Clubmitgliedskarten überreicht man ihm dezent. Mitgliedsgebühren? Ach was, geschenkt. So was kann er gut gegen etwas Nützliches eintauschen. Wofür genau, darüber muss Chlodwig sich erst einmal mit seinen Steuerprüferkollegen im Rathaus beraten, die haben auch einiges an Naturalien zu bieten. Damit ist dann auch der Arbeitstag ausgefüllt. Am Ende des Rundgangs vor seinem Wagen stehend, nimmt ein Ordnungsamt-Mitarbeiter, sich mit dem Satz: »Ach, du hast einen neuen!« entschuldigend, den eben hinter den Scheibenwischer geklemmten Strafzettel wieder fort. Was ist das für eine Stadt? Herrscht hier die pure Korruption?

Ja, natürlich, man sollte nicht so scheinheilig erstaunt sein. Es ist hier wie vermutlich anderswo auch. Aber trotzdem ist es kein moralinsaurer Wir-schaffen-Ordnung-Film, den Hermine Huntgeburth gedreht hat, sondern eher die nicht ganz funktionierende Utopie einer Gemeinschaft, wo jeder jedem gern hilft - wenn auch nicht ganz uneigennützig. Es bleibt schließlich in der Familie. Allerdings ist es keine Variation von »Der Pate«, auch wenn man nicht ganz zufällig an die Mafia denkt. Es ist eine deutsche Komödie, eine ziemlich gelungene zumal, auch wenn die besorgten Fernsehredakteure die Regisseurin an ihren politischen Bildungsauftrag erinnert haben werden. Also bitte keine Verklärung von Korruption!

Aber reden wir über die Maßstäbe, über Motivation und Augenmaß, dann sieht es doch gleich ganz anders aus. Denn Chlodwig ist kein Abzocker im großen Stil, sondern eher im Gegenteil: ein Menschenfreund mit Schwächen. So bringt er es nicht übers Herz, den schwer defizitären Elektroladen auch noch Steuern zahlen zu lassen, weil der sonst schließen müsste. Vermeidet Grausamkeiten!, da ist sich Chlodwig mit seinen Mitsteuerprüfern im Amt einig. Dafür ist ihm die ganze Stadt dankbar.

Wenn das keine Utopie ist! Fast ist Chlodwig schon eine Art Robin Hood. Nur seine Frau (ahnungslos, aber dafür um so resoluter: Steffi Kühnert) ist wenig dankbar, ihr missfällt die Kungelei, als deren Mittelpunkt sie den Bürgermeister (Waldemar Kobus) vermutet, im Privatleben Inhaber einer Schnapsbrennerei. Hat er nicht den alten Speicher, in dem sie früher einen Laden hatte, an die Chinesen verkauft? Darum fordert sie auch einen Antikorruptionsbeamten im Rathaus, aber ihre Bürgerinitiative hat bislang - aus ihr unverständlichen Gründen - nur wenig Zulauf. Doch dann passiert ein Unglück, das die Stadt erschüttert. Der Chef der Steuerprüfer stirbt - ein Mensch, kein Bürokrat, so die Nachrufe -, eine Bierflasche in der Hand, auf seinem Posten. Und der neue Chef Jakob Kronibus wurde wegen Übereifrigkeit andernorts hierher abgeschoben. Alexander Scheer spielt diesen jungdynamischen Geldeintreiber wie das leibhaftig gewordene, nie zu befriedende Gesetz. Kann daraus Gutes erwachsen?

Hermine Huntgeburth hat hervorragende Schauspieler in ihrem Film versammelt - von Peter Lohmeyer über Wolf-Dietrich Sprenger bis zu Katja Danowski. Das, was sie ihren Rollen geben, ist weit mehr als der übliche Fernsehfilmstandard. Hier kippt die Komödie ständig in die Tragödie und umgekehrt. Die Nöte des Ulrich Noethen, einen an sich Krypto-Kriminellen zum Sympathieträger zu machen, geben »Eine Hand wäscht die andere« etwas von jenem abgründigen Humor, den das Fernsehen von heute fast gar nicht mehr kennt. Allerdings, auch hier funktioniert er nur mit Abstrichen, denn ganz so als Feier des Gesetzesbruchs nach menschlichem Ermessen sollte der Film dann doch nicht über den Sender gehen. Also musste der findige Chlodwig einen Sohn haben, an dem als warnendes Beispiel demonstriert wird, was passiert, wenn Kinder in ihren Eltern keine Vorbilder in Sachen legaler und illegaler Handlungen haben. Denn der Junge betreibt bereits selbst knallharte Geschäfte - und hat keinerlei Gewissensbisse dabei. Wie soll er auch, bei dem Vater!

Aber dieser allzu deutliche pädagogische Fingerzeig kann den Film nicht kaputtmachen. Er bleibt auf ungewöhnliche Weise sehenswert. Der kinomatographische Ehrgeiz der Regisseurin zeigt sich auch darin, dass sie (vielleicht zum letzten Mal für einen Fernsehfilm überhaupt) auf 16-mm-Filmmaterial drehte und nicht digital aufnahm. Für derartige Filme gibt es hierzulande nur noch ein einziger Kopierwerk. Leider sieht man die daraus resultierenden etwas weicheren Farbtöne im Fernsehen dann doch nicht. Das ist der in Uniformität mündende Fortschritt im digitalen Zeitalter: alle Bilder haben immer die gleiche Helligkeit und Schärfe!

Am Ende ist für Chlodwig übrigens doch noch nicht alles verloren. Immerhin steht die Wahl des Antikorruptionsbeauftragten an. Und wer wäre dafür wohl kompetenter als er?!

ARD, 20.15 Uhr

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