Gabriels Bremse, Teriums Tempo und falsche Preistreiber

  • Nick Reimer, Verena Kern
  • Lesedauer: 3 Min.
Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW über die Woche aus Klimaretter-Sicht.

klimaretter.info: Frau Kemfert, Energieminister Gabriel hat seine Vorschläge für eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf den Tisch gelegt: mehr Markt, mehr Deckel, mehr »Kosteneffizienz«. Wo geht die Große Koalition beim EEG in die richtige Richtung, wo nicht?
Kemfert: Ich halte die Richtung für falsch, da Öko-Energien als alleinige Preistreiber stigmatisiert und die wirklich wichtigen Änderungen nicht angepackt werden. Die »EEG-Reform«, mit der angeblich der Strompreis gesenkt werden soll, bremst den Ausbau der erneuerbaren Energien aus. Vor allem die Vergütungssätze für die Förderung von Windenergie onshore, also an Land, und Biomasse sollen deutlich gesenkt werden. Zudem soll der Ausbaupfad einem Korridor folgen, also gedeckelt werden.

Die »EEG-Reform« droht zu einer einseitigen Erneuerbare-Energien-Ausbaubremse zu werden, um in erster Linie den Kritikern der Energiewende entgegenzukommen. Die wahren Gründe für Strompreissteigerungen, Kostenentlastungen und vor allem Kostenbelastungen durch alle Formen der Energieversorgung bleiben dabei unberücksichtigt.

Die EU-Kommission hat ihre Klimaziele für 2030 vorgelegt. Der CO2-Ausstoß soll um 40 Prozent sinken, die Erneuerbaren auf 27 Prozent anwachsen und bei der Energieeffizienz gibt es keine Vorgaben mehr. Einen »Kniefall vor Lobbyinteressen« nennt das der SPD-Energieexperte Frank Schwabe. Und der Vizechef der Grünen im EU-Parlament Claude Turmes meint, so wird »Raum für neue Atomkraftwerke« geschaffen. Haben sie recht?
Leider ja. Gerade jetzt brauchen wir verbindliche Ziele für die Treibhausgasminderung, für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz nach 2020. Diese EU-Ziele sind dringend notwendig, damit der Ausbau erneuerbarer Energien rasch vorankommt.

Meine Kollegen und ich am DIW haben festgestellt, dass die EU-Kommission die Kosten erneuerbarer Energien künstlich überschätzt. Systematisch unterschätzt werden dagegen die Kosten für Atomenergie und für die CO2-freie Kohletechnologie mit CCS – die aus Kosten-, Technologie-, rechtlichen und Akzeptanzgründen ohnehin nie großflächig eingesetzt werden wird. Die nun festgesetzten Ziele scheinen die Befürchtung zu bestätigen, dass man auf überteuerte Technologien setzt und erneuerbare Energien benachteiligen will.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Dass RWE-Chef Peter Terium ankündigt, Atomkraftwerke vorzeitig abzuschalten. Abgesehen davon, dass dies ohne Genehmigung gar nicht möglich ist, wundere ich mich darüber, dass es fast keine Reaktionen und Diskussionen darüber gibt, was da eigentlich gesagt und angeboten wurde: eine schnellere Energiewende!

Tatsächlich kann man überflüssige Kraftwerke abschalten, um die zurzeit hohen Überkapazitäten abzubauen. Das sind zwar in erster Linie alte Kohlekraftwerke im Norden, Westen und Osten Deutschlands. Dennoch wäre es ein notwendiger Schritt, um außerdem den Energiemarkt zu stabilisieren. Die Börsenstrompreise könnten wieder steigen. Anstatt sich nun angesichts der Drohungen zusätzliche Zahlungen für alte, inefffiziente Kraftwerke – durch möglicherweise fehlerhaft ausgestaltete Kapazitätsmärkte – abpressen zu lassen, sollte man Teriums Angebot annehmen. Das wäre ein echter Schritt in Richtung Energiewende. Und eine echte Überraschung der Woche.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal