Immaterielles matters!

Andreas Koristka möchte Online-Petitionen in die Liste schützenswerter Kulturgüter der UNESCO aufnehmen

Die Zahlen sind schockierend: In Deutschland gab es zuletzt 2100 Volksfeste weniger als im Jahr 2000. Um die wenigen verbliebenen 10 000 Jahrmärkte und Kirmessen vor dem Tod zu bewahren, kämpft der Deutsche Schaustellerbund für die Aufnahme derartiger Veranstaltungen in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO. Eile ist geboten! Die Kirmes in Vollersroda ist bereits in die ewige Berg- und Talbahn eingestiegen, der Bruchsaler Frühjahrsmarkt ist akut bedroht und das Hodenhagener Eierfest hat es leider nie gegeben.

Es ist zu hoffen, dass die Bemühungen des Schaustellerbundes kandierte Früchte tragen werden. Denn nur, wenn Volksfeste als immaterielles Kulturgut geschützt werden, bieten sie »Zerstreuung und Abstand vom Alltag«, wie es der Verband auf seiner Homepage treffend formuliert. Das ist in unserer zerstreuungslosen Zeit eine wichtige Aufgabe. Gerade die Jugend sollte aus ihrer anstrengenden Lektüre der Schriften Kants, Prousts oder der Twitterbeiträge Bushidos herausgerissen werden und Frohsinn genießen - sei es auch nur für wenige Tage des Jahres.

Unser Land ist voll von vielen weiteren wichtigen immateriellen Kulturgütern. Oft kommt es vor, dass diese ebenfalls gefährdet und daher schützenswert sind. Der ADAC dient als gutes Beispiel. Dieser altehrwürdige Verein machte gerade in besonders negativer Weise von sich reden. Welcher Deutsche hätte schon gedacht, dass die Zeitschrift dieser hochangesehenen Institution voller Lügen war, als er sie wie jeden Monat ungelesen in den Papiermüll gab? Nur ein Schutzstatus der Unesco kann diesen Verein noch vor seinen destruktiven Führungspersonen bewahren, Menschen, die so schäbig sind, dass sie mit Hubschraubern fliegen.

Und was ist mit »Wetten, dass ..?« Will die UNESCO dabei zusehen, wie Markus Lanz dieses wunderbare Stück Kulturgeschichte vor die Wand fährt? Immer mehr Deutsche wollen genau das jedenfalls nicht mehr. Nur noch die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur oder Cindy aus Marzahn könnten dabei helfen, dieses wunderbare Format zu retten. Es ist nicht in Worte zu fassen und nicht mit den Goldlocken Thomas Gottschalks aufzuwiegen, welches immaterielle Gut diese Sendung einst darstellte. Wir konnten uns in ihren Protagonisten wiederfinden. Sahen wir uns nicht selbst in den Treckerfahrern, den Tierdungerschnüfflern, den Querschnittsgelähmten? Genau das ist Kultur! Wir sind nur einen Fingerstreich, einen kleinen Eintrag auf einer Liste, davon entfernt, Markus Lanz sein zerstörerisches Handwerk daran zu legen.

Wer von Lanz spricht, darf natürlich von Online-Petitionen nicht schweigen. Sie sind zwar ein recht junges Kulturerbe, aber was wären wir ohne sie? Wie sollten wir unseren Protest denen da oben sonst mitteilen? Und womit sollten wir unseren Facebook-Status füllen, wenn nicht mit Verlinkungen zu diesen Formen bürgerlicher Selbstbeteiligung? Bürgerlicher Selbstbeteiligung, die so sehr zu unserer Demokratie passt, weil wir unserem Zorn Luft machen können, ohne dass er in irgendeiner Weise für die Politik verbindlich wäre. Gäbe es keine Petitionen, müssten wir tatsächlich aktiv werden und Einfluss nehmen. Wir müssten gegen uns nicht behagende Politik kämpfen. Letztlich würde es darauf hinauslaufen, dass wir gezwungen wären, uns ein Herz zu fassen, eine Pistole zur Hand zu nehmen und Angela Merkel kaltblütig zu erschießen. Das kann ja keiner wollen! Deshalb gehören auch Online-Petitionen gelistet.

Es ist offensichtlich: Nur die immaterielle Liste des immateriellen Kulturerbes der immateriellen UNESCO kann all diese schönen Dinge bewahren. Und wenn man genau darüber nachdenkt, dann ist es nicht abwegig zu fordern, dass sie selbst auch auf die Liste des immateriellen Kulturerbes gehört. Man sollte für ihre Aufnahme eine Online-Petition starten.

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