Falsche Freunde Syriens

Karin Leukefeld über Teilnehmer der Friedensgespräche in Genf, die nicht an den Verhandlungstisch gehören

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.

Die USA, die Europäische Union und die arabischen Golfmonarchien, kurz: die »Freunde Syriens«, haben beschlossen: Der syrische Präsident Bashar al-Assad muss abdanken. Sie und die von ihr unterstützte Nationale Koalition haben diese Forderung zum Kern des vor eineinhalb Jahren ausgehandelten Genfer Abkommens erhoben. Das Abkommen ist die Grundlage der Syrien-Gespräche, die seit rund einer Woche erneut in Genf stattfinden. Die »zentrale Frage« der Friedenskonferenz für die Nachrichtenagentur dpa lautet: »Soll es mit oder ohne Assad weitergehen?« Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, David Cameron und Catherine Ashton hatten diese Frage bereits im Sommer 2011 beantwortet. Damals schrieb die »Süddeutschen Zeitung«: »Der Westen fordert Syriens Präsident zum Rücktritt auf.«

Das Genfer Abkommen wurde ein knappes Jahr später beschlossen. Darin geht es jedoch nicht um Assad. Es geht vielmehr um einen Waffenstillstand für Syrien und den Abzug bewaffneter Kräfte auf allen Seiten. Es geht um humanitäre Hilfe, den Dialog zwischen den Konfliktparteien sowie die Freilassung von Gefangenen und Entführten. Und es geht darum, dass die Menschen in Eigenregie einen politischen Übergangsprozess in ihrem Land einleiten - ohne Einmischung von außen.

Als tausende Syrer zu Beginn des Arabischen Frühlings für Demokratie und Menschenwürde demonstrierten, forderten sie politische Veränderung. Die Menschen wollten ein Mehrparteiensystem, die Aufhebung des Ausnahmezustandes, die Reform des Justiz- und Bildungswesens und die Freilassung von politischen Gefangenen. Sie setzten sich ein für wirtschaftliche Teilhabe, für Arbeitsplätze für die Jugend und für die Kontrolle von Geheim- und Sicherheitskräften, die zu einem Staat im Staate geworden waren. Landbesitzer forderten höhere Entschädigungszahlungen für enteignete Ländereien, Frauen wollten das Kirchenrecht und die Scharia eindämmen. Nichts davon war bisher Thema bei den Genfer Gesprächen. Die »Freunde Syriens« haben mit der Nationalen Koalition eine »Opposition« an den Verhandlungstisch gebracht, die nur eine Forderung kennt: Assad muss weg!

Dass die Nationale Koalition keine politische Perspektive für das vom Krieg gezeichnete Mittelmeerland vorlegt, liegt daran, dass sie das Instrument politischer Interessen ist. Nicht der Syrer, sondern der »Freunde Syriens«. Allen voran der USA, die die moderate, selbstbewusste Opposition ignoriert. Dann Saudi-Arabiens, das in Syrien Iran bekämpft und dafür den jahrhundertealten Religionsstreit zwischen Schiiten und Sunniten im Islam mit Geld und Waffen wieder anheizt. Die Nationale Koalition ist außerdem das Instrument Frankreichs, das seine koloniale Mentalität gegenüber der Levante noch immer nicht überwunden hat, und anderer Staaten, die im Orbit der USA Außenpolitik machen.

Russland und Iran, die die syrische Regierung an den Verhandlungstisch in der Schweiz gedrängt haben, konnten ebenso wenig wie die Vereinten Nationen die Teilnahme der Oppositionellen durchsetzen, die eine politische Vision jenseits von Waffen und Gewalt entwickelt haben. Zu dieser Opposition zählt zum Beispiel die Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen«, die sich die Schulung der Zivilgesellschaft zur Aufgabe gemacht hat. Ihr Vorsitzender, Louay Hussein, kritisiert jüngst die ständige Forderung nach dem Rücktritt des Präsidenten. Daneben existiert die »Allianz des Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel in Syrien«. Sie machte vor einigen Jahren mit drei Forderungen auf sich aufmerksam: keine Gewalt, keine ausländische Einmischung, keinen konfessionellen Krieg. Außerdem gibt es das Bündnis »Syrische Frauen für Demokratie«, das einen Entwurf für eine demokratische Verfassung vorgelegt hat, und die kurdische Partei der demokratischen Union, die mehr Autonomie für die Minderheit reklamiert.

Keiner dieser Akteure wurde zu der Konferenz eingeladen. Einem tiefgreifenden Friedensprozess in Syrien nutzt das nicht.

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