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SPD: Volkspartei auf dem Sterbebett

Wofür steht die SPD? Sie scheint es selbst nicht zu wissen, meint Christoph Ruf

Parteitag – SPD: Volkspartei auf dem Sterbebett

In einigen Bundesländern wird dieser Tage wieder der Scheffel-Preis an die besten Deutsch-Abiturienten verliehen. Zur Strafe muss der- oder diejenige dann bei der Abifeier ans Mikrofon. Man darf also davon ausgehen, dass zwischen Lörrach und Wesel bald einige Hundert geistreichere Reden gehalten werden als die, die Lars Klingbeil am Wochenende auf dem SPD-Parteitag gehalten hat. Schlimmer als dessen mittelmäßige Rhetorik ist allerdings seine Substanzlosigkeit – immerhin mehr als vier Monate nach dem historisch miesen Ergebnis seiner Partei. Denn die stellt selbst das in den Schatten, was auf CDU- und FDP-Parteitagen zuweilen zu hören ist.

Dabei war Klingbeils Feststellung, man habe sich zu sehr um Spiegelstriche gekümmert, doch die könnten gegen Kettensägen nichts ausrichten, ja durchaus vielversprechend. Doch wer erwartete, die Delegierten bekämen nun zu hören, was gegen Kettensägen wirklich helfe, wurde enttäuscht. Es plätscherten nur viele leere Sätze aus Klingbeils Mund, der allen Ernstes dann auch noch zugab, er habe »lange darüber nachgedacht, ob die Leitartikler recht haben«, die der SPD unterstellen, sie habe sich überlebt.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Ein Vorsitzender, der lange darüber nachdenken muss, ob er einem Konstrukt vorsteht, das keine Existenzberechtigung mehr hat, hat sehr viele Gründe, an sich zu zweifeln. Wenn er aber nicht merkt, dass genau er dann gefordert ist, sollte er den Beruf wechseln. Beste Jobaussichten sind ihm sicher. Karrieristen ohne jede Kreativität waren schon immer das Rückgrat dieser Volkswirtschaft.

Wobei: Dass bei der SPD der Fisch vom Kopf her stinkt, ist schwer nachzuweisen. Das ganze Tier riecht seit Längerem sehr streng. Bei der Zusammenkunft in Berlin wurde mit allen Sinnen spürbar, dass die SPD keine Ahnung hat, wofür sie stehen soll. Das demütigende 65-Prozent-Ergebnis für Klingbeil hätte man für ein Lebenszeichen einer dahinsiechenden Partei halten können, vielleicht sogar für so etwas wie ein Signal der Selbstachtung. Doch da sich vorher und nachher niemand aus dem Dickicht wagte, der eine konsistente personelle oder inhaltliche Alternative hätte präsentieren können, waren auch die vielen Nein-Stimmen nur Ausdruck eines peinlichen Beleidigtseins einer zu Tode regierten Partei.

Es ist noch gar nicht so lange her, da war die SPD die Partei der kritischen Intelligenz. Die jeweilige Parteiführung suchte – mal aus aufrichtigem Interesse, mal aus taktischen Gründen – den Dialog mit Schriftstellerinnen, Künstlern, Selbst-Denkern. Heute werden selbst Menschen wie Rolf Mützenich, die über Jahrzehnte ihre Loyalität nachgewiesen haben, abgestraft, wenn sie darüber nachdenken, wie Alternativen zum Aufrüstungs-Gebrüll der Lobbys in Politik und Wirtschaft aussehen könnten.

Noch vor zwei Jahren waren sich viele im politischen Berlin einig, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis sich die SPD wieder weite Teile der Linken einverleibt. Heute ist es deutlich wahrscheinlicher, dass die umgekehrte Dynamik eintritt. Die meisten verbliebenen linken Sozialdemokraten ahnen seit Langem, dass es sinnlos ist, weiter der Flügel eines toten Tieres sein zu wollen.

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