Ukraine: Bulatow darf ausreisen

Regierung und Opposition werfen sich gegenseitig Provokation vor / Steinmeier: Mutmaßliches Folteropfer reist in die EU

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München. Der mutmaßlich gefolterte ukrainische Regierungsgegner Dmitri Bulatow darf überraschend ab Sonntag in die EU ausreisen. Dies habe ihm sein amtierender ukrainischer Kollege Leonid Koschara zugesichert, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Samstag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Fall Bulatow hatte international Empörung ausgelöst.

Der SPD-Politiker bot Bulatow erneut an, sich in Deutschland medizinisch behandeln zu lassen. »Ich weiß noch nicht, wie Herr Bulatow sich entscheidet. Würde er sich entscheiden, in die Europäische Union auszureisen, dann könnte ich bei einer Ausreise nach Deutschland versichern, dass ihm hier eine medizinische Behandlung zuteilwird«, sagte Steinmeier.

Gegen den schwer verletzten Aktivisten läuft ein Verfahren wegen der Teilnahme an Massenunruhen. Ermittler in Kiew hatten gefordert, den 35-Jährigen unter Hausarrest zu stellen. Zugleich leitete der ukrainische Geheimdienst SBU Ermittlungen wegen versuchten Staatsstreichs gegen die wichtige Oppositionspartei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko ein. Bei einer Razzia in den Parteiräumen im Dezember seien dafür Beweise gefunden worden, sagte Maxim Lenko vom SBU in einer Fernsehsendung.

Gegner von Präsident Viktor Janukowitsch demonstrieren in der Ukraine seit mehr als zwei Monaten. Ende November hatte Janukowitsch ein Partnerschaftsabkommen mit der EU auf Druck Russlands platzen lassen. Als der Staatschef Mitte Januar dann demokratische Freiheiten einschränkte, eskalierten die Proteste. Es gab Tote und Hunderte Verletzte. Die Opposition um Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko beharrt seither auf den Rücktritt Janukowitschs.

Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), forderte Neuwahlen als einzigen Ausweg. »Ohne einen politischen Neustart mit neuer Legitimation in Wahlen wird es keine Befriedung geben«, sagte Röttgen dem »Tagesspiegel am Sonntag«.

Hingegen gründete Janukowitschs Partei der Regionen eine sogenannte Ukrainische Front. Ziel sei, die Ukraine von Besetzern zu befreien. »Das gilt damals wie heute«, sagte der Gouverneur des ostukrainischen Gebiets Charkow, Michail Dobkin. Falls friedliche Mittel ausgeschöpft seien, könne die »Säuberung« der Heimat auch »anders« geschehen.

Der Regierungsgegner Bulatow war nach eigener Aussage tagelang gequält worden. Er war am Donnerstagabend - gut eine Woche nach seinem Verschwinden - schwer misshandelt aufgefunden worden. Unbekannte hätten ihm einen Teil eines Ohres abgeschnitten, Nägel durch die Hände getrieben und ihn »an ein Kreuz genagelt«, sagte der Aktivist aus.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zeigte sich »entsetzt« über die Misshandlungen Bulatows und kritisierte das Vorgehen gegen den Regierungsgegner als »inakzeptabel«. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte: »Das ist Barbarei, die sofort aufgeklärt werden muss.« Auch die USA forderten die Justiz zu rascher Klärung auf und zeigten sich »tief besorgt«.

Das ukrainische Innenministerium warf seinerseits den Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew vor, einen Milizionär gefoltert zu haben. Der Major sei schwer verletzt worden und erst nach dem Einsatz ausländischer Diplomaten freigekommen. Die Behörden behaupteten zudem, die Opposition habe Polizeigewalt gegen Demonstranten provozieren wollen, um die Autorität der Führung von Präsident Janukowitsch zu untergraben. Timoschenkos Vaterlandspartei (Batkiwschtschina) sprach von einer Provokation.

Die Oppositionspolitiker Klitschko und Arseni Jazenjuk warben unterdessen in München um Unterstützung. Jazenjuk warnte bei Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck sowie Ashton und Steinmeier vor einem »wahrscheinlichen« Einsatz der Armee gegen die Demonstranten. Allerdings wies Verteidigungsminister Pawel Lebedew in Kiew dies als »Provokation« zurück. Die Armee werde höchstens bei Ausrufung des Ausnahmezustands eingreifen, sagte Lebedew. dpa/nd

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