Das Märchen vom gesunden Glas Wein

Alkoholforscher sehen auch im moderaten Konsum des Genussmittels überwiegend Risiken

  • Renate Wolf-Götz
  • Lesedauer: 2 Min.
Hippokrates, der bekannte Arzt der Antike, verordnete vergorenen Rebensaft gegen Herz-Kreislauf-Störungen. Bis heute glaubt mancher betagte Zeitgenosse, das tägliche Glas Wein lasse ihn länger leben.

Tatsächlich könnte etwas dran sein an den historischen Überlieferungen, wie Wissenschaftler der Harvard Medical School in Boston herausfanden. Demnach trägt moderater Weinkonsum dazu bei, das Herzinfarktrisiko zu senken, indem das »gute« Cholesterin (HDL) leicht ansteigt und das Blut verdünnt, so dass Gerinnsel nicht so leicht entstehen können. Eine wesentliche Rolle bei der Herzinfarkt- und Krebsprophylaxe spielt darüber hinaus das im Rotwein enthaltene Resveratrol, das in wissenschaftlichen Tests dazu beigetragen hat, Schlüsselenzyme gegen Krebserkrankungen und Herzinfarkt zu aktivieren.

Ein guter Grund also für das tägliche Glas Rotwein? Nach Studien des Epidemiologen von der Universität Münster, Ulrich Keil, spricht nichts gegen einen moderaten Alkoholkonsum. Dabei sei es unerheblich, ob man regelmäßig jeden Tag ein Gläschen konsumiert oder zwischendurch darauf verzichtet. Auch will der Gesundheitsforscher die günstigen Auswirkungen nicht ausschließlich dem Rotwein zuschreiben, sondern auch dem Bier.

Dass sich der Mythos vom Rotwein als gesundes alkoholisches Getränk so hartnäckig hält, geht auf das Konto der Weinindustrie, denn sie finanzierte die einschlägigen Gesundheitsstudien zum Weingenuss. In kostenlosen Broschüren der Deutschen Weinakademie leserfreundlich publiziert, finden die Studienergebnisse eine beachtliche Leserschaft, die dann dem Merlot, Chianti oder Zweigelt vertrauensvoll zuspricht.

Indessen ist die Botschaft, dass mäßiger Alkoholkonsum die Gesundheit fördere, nicht unumstritten. Schon kleine Mengen könnten die Schleimhautzellen der Mundhöhle angreifen, gibt Helmut Karl Seitz vom Alkoholforschungszentrum in Heidelberg zu bedenken. Auch Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre würden von der in alkoholischen Getränken enthaltenen Apfel- oder Bernsteinsäure immer mal wieder ausgelöst.

Schon bei geringem Alkoholgenuss können Risiken auftreten, wie die europäische EPIC-Studie, eine Auswertung von insgesamt 19 Studien, gezeigt hat. In Zusammenhang mit Krebs und Ernährung erhöht Alkohol demnach die Anfälligkeit für Darm- und Leberkrebs, weil die Leber durch den bevorzugten Alkoholabbau mit der Entgiftung schädlicher Zellen nicht nachkommt. »Auch wenn moderates Trinken das Risiko für Herzkrankheiten verringert, ist der Nettoeffekt letztendlich doch negativ«, so die Schlussfolgerung der EPIC-Studie.

»Alkohol ist eben kein Medikament, sondern ein Genussmittel«. Das hat auch der Europäische Gerichtshof so gesehen, als er den Pfälzer Winzern verbot, ihren Wein als »bekömmlich« zu etikettieren.

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