Die Biografin von Rosa und Karl

Annelies Laschitza zum 80.

  • Jörn Schütrumpf
  • Lesedauer: 2 Min.

Ihren Namen hörte ich das erste Mal als ich 18 war. Damals, 1974, herrschte unter meinen älteren Freunden aus dem ISKRA-Klub Berlin helle Aufregung. Denn Annelies Laschitza und der - früh verstorbene - Günter Radczun hatten soeben den 4. Band der »Gesammelten Werke« von Rosa Luxemburg vorgelegt, in ihm: »Die russische Revolution«, das Fragment aus dem Jahre 1918. Diese Schrift war im »sozialistischen Lager« - bis zu seinem Ende - ansonsten verboten. (Die ausgedruckte polnische Ausgabe, der einzige Versuch der Veröffentlichung von »Die russische Revolution« zuvor, hatte Wladyslaw Gomulka 1957 auf Druck Moskaus einstampfen lassen müssen.)

Wir lasen mit hochroten Ohren den Text, fanden uns dabei rrrrevolutionär und verstanden - nichts. Nicht einmal, dass es sich um eine Selbstverteidigungsschrift handelte, in der Rosa Luxemburg sagen wollte, was sie im Falle einer deutschen Revolution alles anders machen würde als die Bolschewiki: keinen Terror, keine Unterdrückung der politischen Freiheiten, keine Minderheitendiktatur. (Selbst wenn diese Schrift erschienen wäre, hätte sie Rosa Luxemburg nichts geholfen. Auch dann wäre sie als »Bolschewistin« gejagt und ermordet worden; Deutschland halt …)

Von da an verfolgte ich aufmerksam Annelies Laschitzas Publikationen, freute mich über das zwischen den Zeilen und 1986 über den Rosa Luxemburg-Film von Margarethe von Trotta; wissenschaftliche Beratung: Annelies Laschitza. Meine Freude währte nur kurz. Ein Politbüromitglied entschied: So etwas wollen unsere Menschen nicht sehen; gemeint war: Dem Volk muss die Religion erhalten bleiben. Der Film wurde zurückgezogen. Da hatte Annelies Laschitza mit ihren Kollegen längst den nächsten Meilenstein gesetzt: mit der sechsbändigen Ausgabe der Briefe von Rosa Luxemburg, sie erschien ab 1980.

1990 setzte der Dietz Verlag Berlin Annelies Laschitza den Stuhl vor die Tür: So etwas wie Rosa Luxemburg habe sich erledigt. Jetzt wurde Ruth Fischer (»Stalin und der deutsche Kommunismus«, 2 Bände, 1991) gedruckt - von denselben Leuten, die bis 1989 stets in Treue fest zur SED-Führung gestanden hatten. Ruth Fischer hatte übrigens einst die Ansichten Rosa Luxemburgs als die »Syphilis in der Arbeiterbewegung« bezeichnet und Rosa Luxemburgs Grab geschändet … Annelies Laschitza gab nicht auf und ging zum Aufbau Verlag: Ihre Rosa Luxemburg-Biografie »Im Lebensrausch, trotz alledem« (1996) wurde ein gewaltiger Erfolg. 2007 folgte »Die Liebknechts«. Unterdessen ist Annelies Laschitza wieder bei Dietz und hat zu ihrem 80. Geburtstag heute sich zusammen mit Eckhard Müller das größte Geschenk selbst gemacht: mit dem fast tausendseitigen Band 6 der »Gesammelten Werke« von Rosa Luxemburg (Ergänzungsband 1893 bis 1906). Weitere Bücher sind in Planung.

Jörn Schütrumpf ist Leiter des Karl Dietz Verlages Berlin.

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