»Postliberalisierung hat ihr Ziel verfehlt«

Studie zeigt Negativ-Bilanz im Postsektor auf / Gewerkschaften fürchten die Konsequenzen

  • Kay Wagner
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Wettbewerb bei Postdienstleistungen in der EU hat nichts verbessert, aber viel verschlechtert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag eines europäischen Gewerkschaftsbundes.

Ziel verfehlt hört sich noch gelinde an im Vergleich zu dem Urteil von Helmut Köstinger. Von »Ausverkauf« und »Schlimmer hätte es nicht kommen können« spricht der Mann von der österreichischen Postgewerkschaft GPF, wenn es um die Bilanz der Postliberalisierung geht. Also dem Ende des Monopols, das früher ein staatlich geführtes Postunternehmen besaß. In Deutschland war das zuletzt die Deutsche Bundespost.

Wettbewerb sollte den Markt beleben. So hatte sich das die EU-Kommission gedacht. »Besseren Service, niedrigere Preise, mehr Beschäftigung« versprach sie, als sie mit der gesetzlich vorgeschriebenen Marktöffnung begann (siehe Kasten). Genau das Gegenteil ist eingetreten, in allen Punkten. Schlechterer Service vor allem in ländlichen Gebieten, gestiegene Preise für die Kunden, ein Stellenrückgang von durchschnittlich 20 bis 30 Prozent bei den ehemaligen Monopolisten, ohne, dass in gleichem Maße neue Arbeitsplätze bei den Neueinsteigern im Markt geschaffen wurden. So lautet die Bilanz einer Studie, die der europäische Gewerkschaftsverband Uni Europa bei der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (Forba) aus Wien in Auftrag gegeben hatte.

EU-Postliberalisierung

1991 formulierte die EU-Kommission erstmals ihre Pläne zur Postliberalisierung in einem so genannten Grünbuch. Das grundlegende Gesetz zur Öffnung des Postmarktes in den EU-Mitgliedsländern wurde 1997 verabschiedet. 2002 und 2008 wurde es durch Änderungsrichtlinien ergänzt. 2012 sollte die Liberalisierung in allen EU-Staaten abgeschlossen sein. Die EU-Kommission ist verpflichtet, dem EU-Parlament und dem EU-Rat alle zwei Jahre einen Bericht über die Entwicklung der Liberalisierung vorzulegen. Tatsächlich stammt der bislang letzte öffentlich zugängliche Bericht aus dem Jahr 2008. kw

Deutschland macht bei der Negativbilanz keine Ausnahme. Die Marktöffnung habe zwar tatsächlich einen Preisdruck auf die Wettbewerber ausgeübt. Doch das habe nicht zu niedrigeren Kundenpreisen und bessern Dienstleistungen geführt, sondern zur Senkung der Löhne und Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse. Immer häufiger arbeiteten die Deutsche Post und ihre Konkurrenten mit wenig qualifiziertem Personal zusammen, zu niedrigsten Kosten, oft in freiberuflicher Position. Paketzusteller in Deutschland zum Beispiel, so der Autor der Studie Christoph Hermann, würden bei einer Vergütung von 70 bis 90 Cent pro abgeliefertem Paket durchschnittlich auf einen Stundenlohn von fünf Euro kommen. 15-Stunden-Arbeitstage seien dann keine Ausnahme, wenn der Zusteller von diesem Gehalt leben wolle. Tatsächlich liegt der Lohn manchmal lediglich bei 50 Cent pro Paket.

Wenn Neueinsteiger tatsächlich den Sprung in den Markt schaffen, wie in Deutschland der Fall, würden sie meist nur in Ballungszentren den ehemaligen Monopolisten Konkurrenz machen. Denn dort sind leicht Gewinne zu erzielen. Das Nachsehen haben laut Studie die ländlichen Gebiete. Zwar seien die ehemaligen Monopolisten meist noch verpflichtet, dort aufgrund der »Universaldienst-Verpflichtung« Postdienste anzubieten. Aber wegen des Kostendrucks würden immer mehr Büros geschlossen, der Kunde müsse immer weitere Wege in Kauf nehmen.

Als Konsequenz dieser Studie fordert Uni Europa ein Stopp der Postliberalisierung. »Ein Zurück zu den alten Zeiten gibt zwar es nicht mehr«, gibt Cornelia Broos von Uni Europa zu. Trotzdem wollen die Gewerkschaften etwas erreichen. Nämlich mit der Forba-Studie ein Gegengewicht schaffen zu dem erwarteten Bericht der EU-Kommission zur Postliberalisierung.

Diesen hätte die Kommission eigentlich schon Ende 2013 veröffentlichen sollen. Dafür hatte sie selbst eine Studie in Auftrag gegeben, die seit August 2013 vorliegt. »Die Studie ist 385 Seiten dick, dem sozialen Aspekt werden knapp 20 Seiten gewidmet«, kritisiert Broos. Diese 20 Seiten spiegelten tendenziell jedoch die gleichen Entwicklungen wie die Forba-Studie wider. »Aber die Kommission wird aus ihrer Studie andere Konsequenz als wir ziehen«, sagt Broos. Sie werde nämlich feststellen: Das, was wir uns von der Postliberalisierung versprochen haben, hat sich nicht erfüllt, deshalb brauchen wir noch mehr Wettbewerb, um zum gewünschten Ziel zu kommen.

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