Amputation ganzer Muskeln

Unter den Kürzungen im Hochschulbereich leiden besonders die Unis im Osten

  • Isidor Grimm
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist nicht nötig, wie gerade in Österreich geschehen, das Hochschul- und Wissenschaftsministerium abzuschaffen und dem Wirtschaftsministerium einzugliedern. Die nur auf kurzfristiges Wirtschaftswachstum ausgerichtete Finanzpolitik der Bundesregierung mit ihren kalkulierten Folgen leistet denselben Dienst. Das sieht man gut an dem Einsparungszwang, den die fünf ostdeutschen Bundesländer an ihre Hochschulen weitergeben und der die Zukunftsperspektiven der Städte und Regionen aufs Spiel setzt. Kürzlich erst verteidigte Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer im sächsischen Landtag die Kürzungen an den Hochschulen als einen Beitrag zur soliden Finanzpolitik. Auf mehr als tausend Stellen müssen Sachsens Hochschulen bis 2020 verzichten.

Die Universität Leipzig trifft es besonders hart. Schon im Vorjahr hatte sie 48 Stellen streichen müssen, auch war das Aus für das Institut für Pharmazie, der einzigen Ausbildungsstätte für Apotheker im Freistaat, beschlossen worden. Jetzt kündigte Rektorin Beate Schücking die Abwicklung der Theaterwissenschaften und der Archäologie an. Mit Protesten der Studenten und Lehrenden konfrontiert, erklärte sie: »Wir haben keinen Speck mehr, den man einfach wegschneiden kann. Inzwischen sind wir bei den Muskeln angelangt und amputieren ganze Muskelgruppen. Und das, obwohl wir bewiesen haben, dass unsere Anziehungskraft ungebrochen ist.« Sie meint damit den Zustrom westdeutscher Studierender, die inzwischen ein Drittel der Studentenschaft ausmachen. Dass von ihnen 43 Prozent nach dem Abschluss bleiben, nennt Hochschulexperte Peer Pasternack einen beachtlichen Klebeeffekt: »Keines der zahlreichen Rückholprogramme hat eine solche Erfolgsquote. Mit anderen Worten: Die ostdeutschen Hochschulen sind inzwischen das erfolgreichste Instrument zur Dämpfung des demografischen Wandels.« Gehen die Einschnitte auf Kosten der guten Lehre im Osten, wird sich dies schnell zum Schlechten wenden.

Auch die TU Dresden, wenngleich als einzige Exzellenzuniversität des Ostens vorerst von weiteren Kürzungen ausgenommen, musste bereits mehrere Institute schließen, darunter die Kartographie. Die TU ist auch ein Beispiel dafür, wie unter der Sparpolitik die Kritikfähigkeit und Solidarität der ostdeutschen Unis leidet. Vor zwei Jahren beklagte Rektor Hans Müller-Steinhagen in einem Interview offen die dramatische Unterfinanzierung seines Hauses - eine Lücke von 50 Millionen Euro - und sagte, dass man über die Einstellung von Studiengängen und den Ausbau von Zugangsbeschränkungen nachdenke und sich kaum noch neue Schreibtische leisten könne. Diese Äußerung bereute er schnell und dementierte sie kurz darauf, um die Regierung nicht zu verprellen und die Chancen in der Exzellenzinitiative nicht zu schmälern. Tatsächlich liegt Sachsen bei den Aufwendungen pro Student zweitausend Euro unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von knapp 8650 Euro. »Exzellenz« bedeutet nämlich Drittmittel und unbezahlte Mehrarbeit Tausender Beschäftigter. Unbezahlt und unterbezahlt sind die vielen prekär beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter vor allem in den Geisteswissenschaften. Für 200 bis 800 Euro monatlich schließt dort ein Lehrauftrag Vorbereitung, Prüfung und Korrekturen sowie eigene Publikationen und die mehrjährige Antragsarbeit für Projektmittel in unbezahlten Überstunden ein.

Auch im Rest Ostdeutschlands wird an den Unis gekürzt. Sachsen-Anhalts Regierung will ab 2025 mit 50 Millionen Euro weniger im Wissenschaftsetat auskommen. Ab 2015 sollen alle sieben Hochschulen fünf Millionen Euro pro Jahr einsparen. An der Hochschule Merseburg sind das 300 000 Euro jährlich, was drei bis vier Professuren entspricht. Dabei hat das Land seinen Haushalt 2013 erstmals mit einem Überschuss von 120 Millionen Euro abgeschlossen. Dieser soll aber in den Schuldenabbau und Vorsorge fließen.

In Thüringen haben im November letzten Jahres Tausende Studenten gegen Kürzungen demonstriert. Zwar steigt der Hochschuletat moderat, allerdings wird diese durch Gehaltssteigerungen und Inflation überflügelt, weswegen Hunderte Stellen wegfallen werden. Allein die Uni Jena muss nach eigenen Angaben 7,2 Millionen Euro einsparen und büßt 125 Vollzeitstellen bis 2020 ein. Ab 2020 tritt die Schuldenbremse in Kraft, die den Ländern die Nettokreditaufnahme verbietet. Dabei fehlten Thüringen 2012 nach Angaben der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) zur Finanzierung der Hochschulen im Vergleich zu den Flächenländern West 93,3 Millionen Euro. Diese Unterfinanzierung wird laut GEW überwiegend durch hoch prekäre Lehrbeauftragte (ohne Anstellung, ausschließlich auf Honorarbasis) ausgeglichen und gefährdet heute bereits die Kontinuität von Lehre und vor allem Forschung, da die Lehrbeauftragten keine Forschung betreiben und damit keine Drittmittel einwerben. Bei einer Umfrage gaben 97 Prozent der unter 35-jährigen wissenschaftlich Beschäftigten an, nur befristet beschäftigt zu sein, mehr als die Hälfte mit einem Vertrag von unter einem Jahr.

In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sieht es kaum besser aus. In Mecklenburg-Vorpommern fehlen im kommenden Doppelhaushalt zwischen 50 und 60 Millionen Euro, alleine die Universität Rostock muss bereits heute mit einem Minus von 28 Millionen Euro auskommen. Und Brandenburgs Budget ist nach einer Aufstockung im Sommer 2013 zwar stabil, doch der Präsident der Uni Potsdam Oliver Günther fürchtet, dass mit neuen Kürzungen ein Zehntel der Studienplätze abgebaut werden müssen. »Für ein demografieschwaches Land wie Brandenburg ein falsches Signal - wir müssten mehr begabte junge Leute ins Land holen, zumal das langfristig auch zu höheren Steuereinnahmen führt«, sagte er. Denn die Bundesmittel des Hochschulpakts beginnen auszulaufen und EU-Förderungen müssen fortan zur Hälfte (statt wie früher mit 25 Prozent) gegenfinanziert werden.

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