Forschung in eisigem Tunnel

Das Svartisen-Laboratorium auf Spitzbergen ist das einzige in der Welt unter einem Gletscher.

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 4 Min.

Wasserdichte Bekleidung, Gummistiefel und ein Feuerwehrschlauch, aus dem 60 Grad warmes Wasser gespritzt wird. Nicht gerade die Werkzeuge, an die man bei einem Gletscherforscher denken würde. Da erwartet man eher Eispickel, warme Bergsteigerbekleidung und Schneebrille. Doch bei der Arbeit im Svartisen-Laboratorium auf Spitzbergen ist das heiße Wasser tatsächlich nützlicher als die Schneebrille, denn das Labor liegt unter dem gleichnamigen Gletscher. Die norwegische Bezeichnung Svartis bedeutet Schwarzeis und spielt darauf an, dass die schneeglänzenden Gletscher immer dunkler werden, je mehr man sich ihnen nähert. Für die dunklen Farbtöne sorgen Sand und Steine, die im Gletschereis eingeschlossen sind.

Das Schwarzeislabor ist einzigartig in der Welt, denn es gestattet den Glaziologen einen Blick in den Bauch eines Gletschers. Das ist möglich durch einen 1500 Meter langen Tunnel unter ihm. Um von dort aus kleine Versuchstunnel zu bohren, wird warmes Wasser unter hohem Druck eingesetzt. Der eigentliche Arbeitstunnel war ursprünglich Teil eines ganzen Systems von Tunneln, die in den letzten Jahrzehnten unter dem Gletscher gebohrt wurden, um Schmelzwasser aufzusammeln und zum Staubecken eines Wasserkraftwerkes zu leiten. Der Svartisen-Gletscher ist mit einer Fläche von 369 Quadratkilometern einer der größten Norwegens. Das Tunnelsystem erstreckt sich über rund 200 Kilometer.

Der Svartisen wird schon seit 1903 durch Wissenschaftler beobachtet und vermessen und ist damit einer der am besten erforschten Gletscher überhaupt. Diese Langzeitbeobachtungen über 100 Jahre ermöglichen Rückschlüsse, wie ein Gletscher auf Umweltveränderungen reagiert. Einzigartig für Svartisen ist, dass ein Tunnel genutzt werden kann, um gewissermaßen das Innenleben zu studieren. Eisproben, die von hier aus gewonnen werden können, sind älter und von neueren Umwelteinflüssen unberührt. Wenn wie beschrieben neue Nischen vom Tunnel aus gebohrt werden, geht es darum, Messgeräte zu platzieren, die über Jahre hinweg Messdaten zu Druck und Flussgeschwindigkeit des Gletschereises, Schmelzwassermengen usw. liefern.

Das Labor wurde 1992 eingerichtet und steht Forschern aus aller Welt zur Verfügung, die Gletscherforschung im weitesten Sinne betreiben. Physiker und Glaziologen sind natürlich in der deutlichen Überzahl. Doch auch britische Biologen forschen hier. Sie interessieren sich dafür, welche biologische Aktivitäten in einer Umwelt stattfinden, die durch permanente Kälte, absolute Dunkelheit, hohen Druck und Nährstoffmangel eher lebensfeindlich ist. Trotz dieser ungünstigen Bedingungen fanden sie überraschend viele Bakterien und andere Mikroorganismen. Diese Forschung kann Fingerzeige geben über die Entwicklung des Lebens auf der Erde, als sie zeitweise global von Eis bedeckt war, aber auch auf fremden Planeten.

Das Schwarzeislabor kann auf Grund seiner arktischen Lage nur für wenige Wochen im Jahr genutzt werden. Einzige Verbindung zur Außenwelt ist der Hubschrauber, der die Forscher absetzt und wieder abholt. Um die begrenzte Zeit effektiv ausnutzen zu können, wurden in einem Nebengang des Forschungstunnels Unterkünfte eingerichtet. Die Forschungsresultate sind äußerst relevant für Glaziologen und Klimaforscher, denn nirgendwo anders können sie so gut die dynamischen Zusammenhänge studieren wie hier. Die Ergebnisse lassen sich in Klimamodellen nutzen, um die Abschmelzgeschwindigkeit kleinerer Gletscher beispielsweise in den Alpen besser berechnen zu können. Der Beitrag von Kleingletschern zum erwarteten Anstieg des Meeresspiegels wird gelegentlich unterschätzt. Doch weltweit gesehen binden sie beträchtliche Wassermengen. Für Svartisen haben die Forscher berechnet, dass er bei einer permanenten Temperatursteigerung um zwei Grad über das jetzige Normal hinaus zur nächsten Jahrhundertwende abgeschmolzen sein wird. Die Gletscherzunge hat sich allein seit 1999 um 195 Meter zurückgezogen.

Weltweit gibt es etwa 96 000 Gletscher, die eine wichtige Süßwasserquelle für große Bevölkerungsgruppen sind und Landwirtschaft in Gegenden erlaubt, die sonst brach liegen würden. Die Angaben zur Masseentwicklung der Gletscher und ihrer Ausbreitung in der Vergangenheit und heute werden durch das Nationale Schnee- und Eis-Datenzentrum der USA in Boulder (Bundesstaat Colorado) gesammelt. Alle zwei Jahre gibt das Zentrum einen Bericht zur Entwicklung der Gletscher weltweit heraus, der sich an die Öffentlichkeit und die politisch Verantwortlichen richtet. In seiner Arbeit kann sich das Institut auf Beobachtungen seit 1920 stützen. Die Daten aus dem Svartisen-Labor gehören dazu.

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