Nicht noch einmal Schneeberg

Sachsens Politik bemüht sich um einen unaufgeregten Umgang mit Flüchtlingen

  • Hendrik Lasch, Riesa
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach Sachsen kommen mehr Asylbewerber. Mancherorts gibt es Unmut, den die NPD gezielt schürt. Mit etlichen Initiativen soll das Thema jetzt entschärft werden.

Als kürzlich im neuen Asylbewerberheim Hoyerswerda zu einem Tag der offenen Tür geladen wurde, war das für viele Bürger ein erhellendes Erlebnis. Die nüchternen Zimmer versprachen zwar sicheres Obdach, aber alles andere als Luxus. So, sagte eine Besucherin, würde sie selbst nicht gern wohnen müssen. Manche Gäste entschieden sich spontan, in einer Initiative mitzuarbeiten, die sich um die Flüchtlinge kümmern will.

Aktionen wie in Hoyerswerda sind quasi ein Kontrastprogramm zu den »Lichtelläufen« in Schneeberg, die im Advent Schockwellen durch Sachsen schickten. Bis zu 2000 Menschen gingen in der erzgebirgischen Stadt auf die Straße, um gegen die Unterbringung von Asylbewerbern zu protestieren - aufgestachelt von einer vermeintlichen Bürgerinitiative, hinter der sich die NPD verbarg. Die drohte mit ähnlichem Aufruhr anderswo. In vielen Städten Sachsens müssen 2014 neue Heime für Flüchtlinge eröffnet werden; deren Zahl soll um 2200 auf 8000 steigen. Für die NPD ist das ein gefundenes Fressen; sie will dank des Themas im August zum dritten Mal den Einzug in den Landtag schaffen.

Allerdings gibt es im Freistaat jetzt etliche Initiativen, um dem Thema die Zündkraft zu nehmen und einen erneuten Schneeberg-Effekt zu verhindern. Dort waren die Bürger von der (Wieder-)Eröffnung der Flüchtlingsunterkunft überrumpelt worden. Andernorts wird nun nicht nur frühzeitig informiert; es werden auch Podien geboten, wo Ängste artikuliert und Probleme geklärt werden können. Die Landeszentrale für politische Bildung bietet sich dabei als Moderator an. In Riesa sei das Modell erfolgreich erprobt worden, sagt deren Chef Frank Richter; derzeit werde es in Neukirch in der Lausitz, in Schneeberg und in Chemnitz praktiziert. »Wir verschaffen allen Seiten Gehör und sorgen für eine sachliche Gesprächsatmosphäre«, sagt Richter, der auch weiteren interessierten Kommunen Hilfe anbietet - neuerdings sogar gestützt auf einen eigens produzierten Lehrfilm.

Die Bürger sollen indes nicht nur Bedenken ansprechen und Heime ansehen können; sie sollen auch in die Betreuung der Flüchtlinge einbezogen werden. Von »Patenschaften« ist in einem Konzept die Rede, das vom Innenministerium und den für Asyl zuständigen Kommunen beschlossen wurde. So könnten sich »Asylbewerber und Anwohner kennen lernen«. Innenminister Markus Ulbig hat zudem die direkte Bitte an die beiden großen Kirchen gerichtet, sich bei der sozialen Betreuung der Zuwanderer zu engagieren. Die Aufgabe könnten »staatliche Stellen allein nicht meistern«, schrieb der CDU-Politiker in einem Brief an die Vorsitzenden der evangelischen und katholischen Landeskirchen.

Eine Art gesellschaftlicher Schulterschluss sei generell ein Schlüssel zum Erfolg, sagt Martin Gillo, Ausländerbeauftragter des Freistaats. Er plädiert nicht nur für die Einbeziehung von Kirchen, sondern auch von Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und örtlichen Initiativen - und für ein Engagement über die Parteigrenzen hinweg auch im Wahljahr. »Asyl und das Bekenntnis zur Humanität sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben«, sagt Gillo. Die Erkenntnis habe sich nach früheren, teils schwierigen Debatten um einzelne Heimstandorte wie Gröditz in Sachsen inzwischen verbreitet durchgesetzt, beobachtet der CDU-Mann: »Das haben wir gelernt.«

Gelernt zu haben scheint aber auch die Landespolitik. Das Konzept von Ministerium und Kommunen schreibt erstmals fest, dass Flüchtlinge soziale Betreuung erhalten sollen - eine Lehre aus Auseinandersetzungen in der Erstaufnahmeeinrichtung Chemnitz im Herbst, die der Auslöser für die Verlegung von Flüchtlingen nach Schneeberg waren - wo es dann zu Protesten kam. Zwar steht der Einsatz von Sozialarbeitern in den Heimen, in denen oft traumatisierte Menschen aus verschiedensten Ländern und Kulturen wohnen, noch unter Finanzierungsvorbehalt. Auch könnte sich Gillo einen besseren Schlüssel als 1:150 vorstellen. Es sei aber dennoch ein »Schritt in die richtige Richtung«.

Das gilt auch für die stärkere Orientierung auf eine dezentrale Unterbringung. Zwar sollen Asylbewerber auch künftig zuerst »grundsätzlich« in Heime eingewiesen werden. Danach aber werde geprüft, ob auch die Unterbringung in Wohnungen möglich ist. Das sei eine »Verbesserung«, lobt Gillo. In den Kommunen, ergänzt Roland Dantz, Oberbürgermeister von Kamenz, gebe es damit ohnehin gute Erfahrungen. Heime seien kein guter Ort zum Wohnen - vor allem für die Kinder, aber auch für Erwachsene, die dort derzeit oft jahrelang ausharren müssen und zur Untätigkeit verurteilt seien. »Würden wir das mit uns machen lassen?!«, fragt der Kommunalpolitiker und verlangt: »Man sollte die Menschen wenigstens arbeiten lassen.« Das würde viele Flüchtlinge freuen - und mancher Hetzkampagne über angebliche »Schmarotzer« den Wind aus den Segeln nehmen.

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