Ein Prozess als Reality-TV

Der ehemalige Bundespräsident Wulff wird in einem umstrittenen Verfahren vom Vorwurf der Vorteilsannahme freigesprochen

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Von den Vorwürfen gegen Christian Wulff blieb letztlich nur jener der Vorteilsannahme in Höhe von 720 Euro. Auch davon sprach ihn das Gericht nun frei.

»Ist es wirklich glaubhaft, dass sich der Ministerpräsident für Peanuts kaufen ließ?«, fragte Richter Frank Rosenow am Donnerstag in seiner Urteilsbegründung. Und sprach den vor zwei Jahren zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff sowie den ebenfalls angeklagten Filmproduzenten David Groenewold von den Vorwürfen der Korruption und der Vorteilsannahme frei.

Rückblende: Im Dezember 2011 berichtet die »Bild«-Zeitung erstmals über angebliche Vergünstigungen für den früheren Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Bundespräsidenten. Dieser soll beim Kauf eines Hauses in Großburgwedel vergünstigte Kreditkonditionen erhalten haben. Andere Medien stürzen sich auf den Fall. Die Liste der Vorwürfe wird immer länger - und zum Teil absurder. So prüft zum Beispiel die Berliner Staatsanwaltschaft, ob sich Wulff durch die Annahme eines geschenkten »Bobby-Car« strafbar verhalten habe. Andere Vorwürfe wiegen schwerer. So soll sich der gebürtige Osnabrücker als Ministerpräsident dafür eingesetzt haben, der Versicherungswirtschaft Vorteile zu verschaffen. Im Februar 2012 dann beantragt die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung der Immunität, um Ermittlungen durchführen zu können. Einen Tag später tritt Wulff als Bundespräsident zurück, die Recherchen beginnen. Es geht um zwei Urlaube auf Sylt, kostenlose Flugupgrades, den Hauskredit und einen Oktoberfest-Besuch mit Hotelübernachtung 2008. Diese soll Groenewold zunächst für Wulff bezahlt haben soll. Im Gegenzug soll Wulff sich in einem Schreiben an Siemens für finanzielle Unterstützung für den Filmproduzenten eingesetzt haben.

Doch die Nachforschungen ergeben: Strafrechtlich relevant ist nicht viel davon. Im März bietet die Staatsanwaltschaft Wulff und Groenewald an, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Doch Wulff lehnt dieses Angebot ab und drängt auf Einstellung des Verfahrens ohne Auflagen. Allein die Hotel- und Bewirtungskosten im Rahmen des Besuches des Münchner Volksfestes in Höhe von 720 Euro werden Gegenstand des Prozesses, der im November 2013 beginnt.

Am Donnerstag erfolgt dann der Freispruch für Wulff und Groenewald. Die Begründung lautete: »Die Angeklagten waren aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil Vorteile und eine Unrechtsvereinbarung nicht nachgewiesen werden konnten.« Zum Verhältnis von Wulff und Groenewald führte der Richter aus, dass sich aus einer geschäftlichen Beziehung ein enges freundschaftliches Verhältnis entwickelt habe. »In Krisensituationen waren die beiden Angeklagten einander wertvolle Ratgeber.« Bei Restaurantbesuchen habe mal der eine und mal der andere von beiden die Rechnung übernommen.

Ebenso habe sich kein Beleg dafür finden lassen, dass Wulff bemerkt habe, dass Groenewold 400 Euro von seiner Hotelrechnung übernahm. Überdies habe Wulff glaubhaft versichert, dass er dem Filmfinancier 110 Euro Kosten für einen Babysitter erstattet habe. Rosenow fragte, warum hätte sich Wulff Kosten bezahlen lassen sollen, die er ohnehin erstattet bekommen hätte? »Bei einem Ministerpräsidenten gibt es kaum etwas mit Bezügen zur Wirtschaft, was nicht auch zur Dienstausübung gehört.«

Christian Wulff hat nun Anspruch auf finanzielle Entschädigung für die Durchsuchung seines Wohnhauses. Er zeigte sich erwartungsgemäß erleichtert angesichts des Urteils. »Das Recht hat sich durchgesetzt. Nun kann ich mich wieder der Zukunft zuwenden.« Für Staatsanwalt Clemens Eimterbäumer sind jedoch noch nicht alle Korruptionsvorwürfe vom Tisch. In seinem Schlussplädoyer vor einer Woche hatte er dies erneut betont und verlangt, die Beweisaufnahme fortzuführen. In der kommenden Woche will die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt.

Der Prozess gegen Christian Wulff war von vielen Seiten kritisiert worden. Heribert Prantl schrieb in der »Süddeutschen Zeitung«, die sich ansonsten an der medialen Ausschlachtung des Falles ebenso beteiligte, dass dem Ermittlungsexzess ein Skandalisierungsexzess gefolgt sei. Von einer gefährlichen Tendenz, dass Ermittlungsverfahren gegen Prominente immer häufiger über die Medien geführt werden, sprach der Münchner Strafrechtsprofessor Bernd Schünemann. Eigentlich geheime Ermittlungsverfahren würden so zum Reality-TV und damit zu einer Vorverurteilung. Richter Rosenow appellierte an die Öffentlichkeit, den Freispruch nicht zu klassifizieren. »Es gibt nur schuldig oder unschuldig. Ein bisschen schwanger geht nicht.« Eine Spur von einem schlechten Gewissen? Schließlich hätte das Gericht das Verfahren auch einstellen können.

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