Gelebte Utopie

Die Galerie »Die Insel« fördert seit 21 Jahren Künstlerinnen

  • Elke Koepping
  • Lesedauer: 5 Min.

»Oh schöne neue Welt, wo solche Menschen leben!« In Shakespeares Drama »Der Sturm« ruft dies begeistert Miranda aus, die Tochter Prosperos, die in der paradiesischen Einöde einer von Menschen vergessenen Insel aufgewachsen ist. Mit dem dort unverhofft gestrandeten Ferdinand trifft sie zum ersten Mal auf einen jungen Mann. Ihre Heirat am Ende des Stückes versöhnt zwei Extreme des barocken Denkens: Wildnis und Zivilisation, Natur und Kunst. Diese Verbindung symbolisiert einen Mittelweg, auf dem eine junge Generation spielerisch gesellschaftliche Hindernisse überwindet. Möglich ist diese Utopie jedoch nur außerhalb sozialer Systeme: auf einer einsamen Insel, die ihren eigenen Gesetzen folgt.

»Schöne Neue Welt« ist neben dem bekannten Roman von Aldous Huxley auch der Titel einer für Mai geplanten Ausstellung in einer kleinen Galerie auf der Torstraße. »Die Insel« heißt sie. Die Galerie lebt die Utopie, in einem zu 80 Prozent männlich dominierten Kunstmarkt Künstlerinnen eine kontinuierliche Präsentationsfläche zu bieten. Auch wenn man meinen sollte, ihr Name sei dieser Absicht entsprungen, so war doch der Zufall im Spiel. Bei ihrer Eröffnung im Januar 1995 hatte die Galerie ihren ersten Sitz in der Inselstraße 13, direkt neben jenem Gebäude, in dem wenige Jahre zuvor noch der Zentralvorstand des Verbandes Bildender Künstler der DDR seinen Sitz hatte. 1990 wurde der Verband aufgelöst, zeitgleich implodierten die paradiesischen Strukturen des subventionierten Inseldaseins, das Künstlerinnen und Künstler in der DDR führten.

»Mit einem Mal brach alles weg: Es gab keine bezahlbaren Ateliers und Wohnungen mehr, die Auftraggeber verschwanden: Partei, FDGB, FDJ, Kulturbund«, erzählt Ilse-Maria Dorfstecher, Gründerin und Kuratorin der Inselgalerie. »Es gab auch den staatlichen Kunsthandel, über den man verkaufen konnte. Der und die Galeristen fielen weg und das subventionierte Material wurde teurer. Es wurde sehr viel für die Künstler gemacht in der DDR, in der Annahme, sie würden dafür dankbar sein. Was ja nicht in Erfüllung ging - die sind eben von Natur aus ein bisschen anarchischer, sonst würden sie keine Kunst machen ...« Sie lacht ein bisschen in sich hinein. »Dass ich mich auf die Frauen spezialisiert habe, hat sich so ergeben, das war nicht geplant«, sagt sie. Anfang der 90er Jahre gab es Frauenförderprogramme, über die Dorfstecher Mittel beantragen konnte und die 1993 von ihr gegründete gemeinnützige Berliner Fraueninitiative Xanthippe e. V. bildete die Grundlage für erste gemeinsame Ausstellungen. »Die Frauen waren auf einmal die arme ›benachteiligte Minderheit‹. Das kannten wir aus der DDR so nicht. Frauen wie Männer hatten in der Kunst ihr Auskommen, Kinderbetreuung war kein Problem. Es gab genug Paare, die sogar drei oder vier Kinder hatten und trotzdem künstlerisch arbeiten konnten.«

»1990/91 waren wir völlig desorientiert, keiner wusste, wo man Gelder beantragen konnte«, sagt Dorfstecher. Die Gespräche mit anderen Kulturschaffenden aus der Bürgerrechtsbewegung, zu denen sie Kontakt hatte, halfen ihr, den Durchblick zu wahren. »Mir war es damals wichtig, einen Verein für Künstlerinnen zu gründen«, sagt sie. »Erst ganz allmählich haben wir gesehen, dass es den Westkünstlerinnen auch nicht anders ging. Die hatten uns nur die Erkenntnis voraus, dass Kunst zu machen bedeutet, ein Leben lang arm zu sein und im Alter allein zu bleiben. Kinder und Mann, das stört alles bei der Kunst.«

Die Einkommenssituation von Künstlerinnen hat sich heute, 20 Jahre später, wenig verbessert. Das Ost-West-Gefälle hat sich jedoch verschoben: zugunsten des im Westen traditionellen Geschlechtergefälles. Frauen sind überproportional stark in der Kunst vertreten und erzielen insgesamt geringere Gewinne aus dem Verkauf ihrer Kunstwerke. Nach der vom Deutschen Kulturrat im Jahr 2013 herausgegeben Studie »Arbeitsmarkt Kultur« sind in der Fächergruppe Kunst/Kunsterziehung an deutschen Universitäten 81 Prozent aller Studierenden weiblich, im Bereich der bildenden Kunst liegt ihr Anteil bei rund 57 Prozent. Demgegenüber steht das Missverhältnis, dass das Durchschnittseinkommen von Frauen in der Kunst lediglich 11 565 Euro jährlich beträgt. Nach einer Statistik der Künstlersozialkasse für das Jahr 2012 ist es damit rund 25 bis 32 Prozent unter dem Verdienst ihrer männlichen Kollegen mit 15 850 Euro im Jahr. Und die Ausstellungspolitik öffentlicher und damit prestigeträchtiger Museen geht leider immer noch dahin, Werke von Männern zu bevorzugen, auch wenn Preise und Stipendien für Künstler mittlerweile geschlechterparitätisch vergeben werden.

Ilse-Maria Dorfstecher ist zwischenzeitlich 82 Jahre alt und leitet - wie Prospero die Geschicke seiner Insel - nach wie vor mit großer Energie die Geschäfte ihrer Galerie. Im Jahr 2007 wurde sie vom Senat für ihr Engagement mit dem Berliner Frauenpreis ausgezeichnet. In ihren kleineren Ausstellungen kombiniert sie stets zwei Künstlerinnen aus den Bereichen Malerei, Grafik und Skulptur und versucht, unterschiedlicher Hintergründe zu berücksichtigen - z. B. Alt und Jung oder Ost und West, gelegentlich gibt es größere Sammelausstellungen wie die im kommenden Mai aus Anlass des 450. Geburtstages von Shakespeare und Galilei. Der Bekanntheitsgrad der Künstlerinnen ist ihr dabei egal, ihr kommt es einfach nur auf die Qualität der ausgestellten Werke an. Ob ihr die Arbeit in ihrem Alter nicht langsam zu viel wird? Darauf lacht sie wieder und sagt: »Ich suche natürlich nach einer Nachfolgerin. Aber finden Sie mal eine, die diese ganze Arbeit beinahe ehrenamtlich macht.« Oh schöne neue Welt, wo solche Menschen leben ...

8.3., 15 Uhr, Finissage der Ausstellung »Borromäischer Knoten«, Malerei von Denise Richardt und Marika Voss. Die Ausstellung ist noch bis zum 15.3. in den Räumen der Inselgalerie zu sehen. Inselgalerie, Torstraße 207, Mitte, Öffnungszeiten: Di-Fr, 14-19 Uhr, Sa, 13-17 Uhr. www.inselgalerie-berlin.de. Nächste Ausstellung: ab 3.4.: »Rhythmen« - Malerei und Objekte von Gudrun Fischer-Bornert und Beate Tischer.

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