Krim-Krise: Erstes Gespräch zwischen Russland und Ukraine

Offener Brief an Putin / Warnschüsse: Militärbeobachter der OSZE erneut abgehalten / SPD und Linke gegen »kalte Fußballkrieger« / Offenbar Attacke auf ukrainische Kaserne

  • Lesedauer: 9 Min.

Berlin. Erstmals in der Krim-Krise haben sich Vertreter von Russland und der Ukraine persönlich zu einem Gespräch getroffen. Der russische Vizeaußenminister Grigori Karassin sei in Moskau mit dem ukrainischen Botschafter Wladimir Jeltschenko zusammengekommen, teilte das Außenministerium in Moskau am Samstag mit. »In aufrichtiger Atmosphäre wurden Fragen der russisch-ukrainischen Beziehungen besprochen«, hieß es in einer Mitteilung der Behörde. Moskau erkennt die neue Führung in Kiew nicht an, weil sie aus Sicht des Kreml mit einem »Umsturz« an die Macht gekommen sei. Die Ukraine hatte Russland mehrfach zum Dialog aufgefordert.

Offener Brief an Putin

Mit einem offenen Brief haben 34 in Deutschland lebende Kulturschaffende aus der Ukraine und Russland den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgefordert, eine militärische Eskalation zu verhindern. »Wir dürfen einen Brudermord nicht zulassen«, heißt es in dem Brief, den unter anderem die Autoren Katja Petrowskaja und Wladimir Kaminer sowie der Philosoph Michail Ryklin unterzeichneten. »Wir sind zutiefst überrascht, dass sich ein modernes Russland, das im 20. Jahrhundert mehrere ausländische Interventionen und Kriege erlebt hat, im Jahr 2014 wieder auf einen bewaffneten Konflikt einlässt«, heißt es weiter. »Die Militärintervention Russlands auf dem Territorium der souveränen Ukraine wird für die ganze Region fatale Folgen haben: Sie wird zur Isolation Russlands in der Welt und zur ewigen Entzweiung der beiden slawischen Brudervölker in Osteuropa führen.« In dem Brief wird Putin aufgerufen, den Einmarschbefehl in die Ukraine zurückzunehmen, die Blockade aller ukrainischen Militäreinrichtungen und Flughäfen auf der Krim aufzuheben und den Dialog mit der provisorischen Regierung in Kiew zu beginnen.

Warnschüsse: Militärbeobachter der OSZE erneut abgehalten

Mit Warnschüssen ist Militärbeobachtern der Organisationen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) der Zugang zur ukrainischen Halbinsel Krim verwehrt worden. Dabei sei niemand verletzt worden, sagte OSZE-Sprecherin Cathie Burton am Samstag in Wien. Die Experten sollen die militärischen Aktivitäten Russlands auf der Krim beobachten. Prorussische Einheiten hatten dem OSZE-Team bereits am Donnerstag und Freitag mehrfach den Zugang zu der Schwarzmeerhalbinsel versperrt. Die rund 50 Experten aus 28 Ländern seien nun auf dem Weg von dem Kontrollposten bei Armjansk zu ihrem Stützpunkt, sagte die OSZE-Sprecherin. Dort wollten sie ihre nächsten Schritte planen. Die OSZE-Mission ist bis zum kommenden Mittwoch begrenzt.

SPD und Linke gegen »kalte Fußballkrieger«

Politiker von SPD und Linke kritisierten eine Anregung von Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, auch über die Fußball-WM 2018 in Russland nachzudenken. Linken-Chef Bernd Riexinger sagte »Handelsblatt Online«, ein Boykott sei Unfug. »Da wollen ein paar kalte Fußballkrieger die Krim-Krise nutzen, um Stimmung zu machen.« SPD-Bundesvize Ralf Stegner meinte, derzeit seien in dem Konflikt außenpolitische Entspannungsbemühungen gefragt »und nicht verbale Kraftmeierei von den Zuschauertribünen«. Fuchs hatte der FAZ gesagt, »ob es vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse wirklich angemessen ist, in vier Jahren eine Fußball-Weltmeisterschaft in Russland auszurichten, das kann man durchaus in Frage stellen«.

Lawrow für »Dialog ohne Bedingungen«

In der Krim-Krise hat der russische Außenminister Sergej Lawrow den Westen zu einem »Dialog ohne Beschuldigungen« aufgefordert. »Wir sind zu partnerschaftlichen Gesprächen bereit - allerdings akzeptieren wir Versuche nicht, uns als einen Beteiligten des Konflikts in der Ukraine hinzustellen«, sagte er am Samstag der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Lawrow warf der neuen Führung in Kiew erneut vor, mit dem Umsturz nicht legitim an die Macht gelangt zu sein. Direkte bilaterale Gespräche mit dem Nachbarland seien schwierig, da die ukrainische Regierung von radikalen Nationalisten beeinflusst werde, kritisierte Lawrow.

Im Falle von US-Sanktionen gegen Moskau erwägt Russland einen Stopp der gegenseitigen Waffeninspektionen. Die Kontrolle etwa von Atomarsenalen erfordere Vertrauen, aber die »unbegründeten Drohungen« der USA und Nato seien eine »unfreundliche Geste«, sagte ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums in Moskau am Samstag der Agentur Itar-Tass. Russland und die USA hatten sich in einem seit 2011 gültigen Vertrag zu einer Verringerung strategischer Offensivwaffen sowie zu gegenseitigen Besuchen von Inspekteuren verpflichtet.

Derweil wurde bekannt, dass Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Samstag erneut versuchen wollen, auf die ukrainische Halbinsel Krim zu gelangen. Bis zum Ende der Mission am kommenden Mittwoch würden alle unterschiedlichen Strecken ausprobiert und alle diplomatischen Mittel genutzt werden, sagte OSZE-Sprecherin Cathie Burton in Wien. Prorussische Bewaffnete hatten den Beobachtern bereits am Donnerstag und Freitag an unterschiedlichen Kontrollposten den Zugang zur Krim verwehrt. Dazu erklärte der ständige Vertreter Russlands bei der OSZE, Andrej Kelin, nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass: Eine Entsendung einer solchen Delegation sei »zwecklos« ohne Zustimmung der Behörden auf der Krim oder in den östlichen ukrainischen Regionen. Ein Mandat für eine solche Beobachtermission müssten diese Regionen erteilen. Die rund 50 Experten aus 28 Ländern sollen noch bis nächsten Mittwoch die militärischen Aktivitäten Russlands in der Ukraine beobachten.

Offenbar Attacke auf ukrainische Kaserne

Russisch sprechende Uniformierte sollen auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim einen Militärstandort der ukrainischen Streitkräfte attackiert haben. Eine Gruppe aus etwa 20 Bewaffneten habe sich mit einem Lastwagen Zugang zu dem Areal nahe der Hafenstadt Sewastopol verschafft, teilten die Behörden in Kiew am Freitagabend der Agentur Interfax zufolge mit. Von Schüssen war nicht die Rede. Ein Korrespondent der britischen Zeitung »Daily Telegraph« berichtete unter Berufung auf den stellvertretenden ukrainischen Kommandeur, dass die Uniformierten später wieder abgezogen seien. Das Motiv der Aktion sei unklar. Unbestätigten Berichten zufolge sollen bei Zusammenstößen am Rande Journalisten verletzt worden sein. Der Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow widersprach im ukrainischen Fernsehen Vorwürfen, prorussische Uniformierte hätten einen Konflikt provoziert oder Journalisten angegriffen.

Linkspartei: »Eskalation in der EU und der NATO verhindern«

Der Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss des Bundestags, Alexander S. Neu, warnte, die »Sanktionen gegenüber Russland gehen nach hinten los«. Die wirtschaftlichen Verflechtungen der EU, insbesondere Deutschlands, seien »viel zu eng, so dass durch diese Repressalien ein heftiger Bumerang-Effekt entstehen wird«. Die Krim-Krise könne »nur durch Verhandlungen und Gespräche auf Augenhöhe beseitigt werden«, so Neu weiter. Das Verhalten der Bundesregierung und ihrer westlichen Partner nannte der Bundestagsabgeordnete »ist zutiefst widersprüchlich«; er verwies darauf, dass das Völkerrecht etwa im Fall Jugoslawien vom Westen »offen gebrochen« wurde. »Damit wurden Präzedenzfälle geschaffen, die sich nun gegen westliche Interessen richten.« Seine Partei fordere die Bundesregierung auf, »Eskalationsschritte in der EU und der NATO zu verhindern«.

Merkel und Obama verlangen Abzug russischer Truppen

In der Krim-Krise treten die diplomatischen Bemühungen um eine Konfliktlösung auf der Stelle. Nach einem Telefongespräch haben US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel den Rückzug russischer Soldaten von der ukrainischen Halbinsel Krim gefordert. Zugleich verlangten sie den Zugang internationaler Beobachter und Menschenrechtsbeobachter in der Krisenregion. Merkel und Obama plädierten für freie und faire Präsidentenwahlen in der Ukraine im Mai. Russland müsse der Bildung einer internationalen Kontaktgruppe rasch zustimmen, die zu einem direkten Dialog zwischen der Ukraine und Russland führen solle, um so die Krise zu deeskalieren und die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen, so die aus dem Weißen Haus nach dem Gespräch wiedergegebene Position von Merkel und Obama: »Die politischen Führer bekräftigten ihre schwere Besorgnis über Russlands klare Verletzung des internationalen Rechts angesichts seiner militärischen Intervention in der Ukraine.«

Derweil rechnet Russland im Konflikt mit der Ukraine derzeit nicht mit einer Vermittlungsrolle der Europäischen Union oder der USA. Der Westen habe durch sein Verhalten in der Krise erheblich an Glaubwürdigkeit verloren, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag im russischen Staatsfernsehen. »Die westlichen Partner haben wohl Kredit verspielt, wenn man sich das Schicksal des Vertrags vom 21. Februar anschaut«, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin. Das damals unter anderem von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vermittelte Abkommen der ukrainischen Opposition mit Präsident Viktor Janukowitsch sollte einem Kompromiss den Weg bahnen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte die USA mit Nachdruck vor Sanktionen. Strafmaßnahmen könnten für Washington schnell zum »Bumerang« werden, sagte Lawrow in einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry. Das teilte das Außenministerium in Moskau am Freitag mit. Eilige und unüberlegte Schritte würden das russisch-amerikanische Verhältnis nachhaltig beschädigen.

Moskau stellte gut eine Woche vor dem geplanten Krim-Referendum erneut der Schwarzmeer-Halbinsel die Eingliederung in die Russische Föderation in Aussicht. Die Staatsduma könnte nach Angaben aus Moskau bereits am 21. März über ein Gesetz zum Beitritt abstimmen. Als Teil Russlands werde die Krim künftig mehr Rechte haben als in der Ex-Sowjetrepublik Ukraine, versprach die Vorsitzende des Föderationsrates, Valentina Matwijenko, bei einem Treffen mit Krim-Parlamentschef Wladimir Konstantinow. »Wenn eine solche Entscheidung bei dem Krim-Referendum getroffen wird, dann wird die Republik zu einem gleichberechtigten Subjekt der Russischen Föderation mit allen Rechten und Vollmachten«, kündigte Matwijenko an. Die Bürger der Krim würden alle Rechte russischer Staatsangehöriger haben, gleiche Löhne, Renten und gleichen Anspruch auf Sozialleistungen.

Zur Abweisung von OSZE-Beobachtern auf der Krim erklärte der ständige Vertreter Russlands bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Wien, Andrej Kelin, nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass vor Journalisten: Eine Entsendung einer solchen Delegation sei »zwecklos« ohne eine Zustimmung der Behörden auf der Krim oder in den östlichen ukrainischen Regionen. Ein Mandat für eine solche Beobachtermission müssten diese Regionen erteilen. Ein weiteres Treffen des UN-Sicherheitsrates zur Lage in der Ukraine sei von Samstag auf Montag verschoben worden, sagte ein Sprecher der ukrainischen UN-Delegation Itar-Tass. Die Krise in der Ukraine hat den Sicherheitsrat bereits viermal beschäftigt.

Kanzlerin Merkel drängte Putin derweil, sich an einer Kontaktgruppe zur Lösung der Krim-Krise zu beteiligen. »Wir erwarten innerhalb weniger Tage die Bildung eines diplomatischen Gremiums und dann auch sehr schnell Ergebnisse«, sagte Merkel am Freitag nach einem Treffen mit dem irischen Premierminister Enda Kenny in Dublin. Bundesaußenminister Steinmeier warf Russland vor, mit seinen Entscheidungen zum Krim-Referendum und dem Gesetzentwurf über die Aufnahme neuer Föderationsmitglieder »Öl ins Feuer« zu gießen.

Auch militärisch gehen die Spannungen weiter. Das US-Verteidigungsministerium hatte in den vergangenen Tagen mehr als ein Dutzend Kampfjets zu den Nato-Verbündeten Polen und Litauen beordert. Zudem passierte am Freitag der US-Zerstörer »Truxtun« auf dem Weg ins Schwarze Meer den Bosporus. Die US-Marine hatte mitgeteilt, das Schiff mit einer Besatzung von etwa 300 Mann wolle an einer Übung mit der rumänischen und bulgarischen Marine teilnehmen. Am Dienstag waren bereits zwei russische und ein ukrainisches Kriegsschiff auf dem Weg in das Schwarze Meer eingefahren.

Die Halbinsel gehört völkerrechtlich zur Ukraine, die das Vorgehen Moskaus für einen Bruch internationalen Rechts hält. Auch die USA halten die Abstimmung, die am 16. März abgehalten werden soll, für illegal. Eine Zustimmung der russisch dominierten Bevölkerung auf der Krim gilt allerdings als sicher. Am Roten Platz in Moskau schwenkten am Freitagabend bei einem von kremlnahen Kräften organisierten Konzert Zehntausende Spruchbänder mit Aufschriften wie »Die Krim ist russischer Boden«. Russland, das in Sewastopol seine Schwarzmeerflotte stationiert hat, kontrolliert seit einer Woche die mehrheitlich von Russen bewohnte Krim. Moskau bestreitet aber, Soldaten außerhalb vereinbarter Bereiche einzusetzen. Die Bewaffneten in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen seien »Selbstverteidigungskräfte«. Agenturen/nd

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