Das Grauen hat einen Namen

Spektakuläre Mordfälle - von Kommissar Gerhard Starke erzählt

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Zuerst klingelt immer das Telefon. Die Mordkommission wird zu einem Ort gerufen, wo sie einen Toten findet - Wohnung, Müllkippe, Straßenrand, Gartenlaube. Klar ist am Anfang nur, es geht um einen gewaltsamen, unnatürlichen Tod, der Rest sind unendlich viele Fragen. Wer ist das Opfer, wie kam es ums Leben, wann geschah die Bluttat, wo gibt es Hinweise, die das Geschehen erhellen? Nun beginnt die Suche. Nach Spuren, nach Zeugen und nach dem Täter.

Der Kriminalhauptkommissar a.D. Gerhard Starke schreibt über sich und die Mordkommission Koblenz, der er über drei Jahrzehnte angehörte. »Ich musste sie töten« ist der zweite Band authentischer Kriminalfälle - zusammen mit dem Journalisten Christoph Kloft aufgeschrieben. Mordermittlung ist kein Puzzlespiel, wo die Teilchen bereit liegen und nur noch zusammengesetzt werden müssen. Da ist oft nichts, nicht einmal die Identität des Opfers.

Doch Millimeter für Millimeter in unendlicher Kleinarbeit formt sich ein Bild. Hunderte Personen, Fahrzeuge müssen überprüft werden, viele Pfade führen ins Leere. Mörder nehmen keine Rücksicht auf Sonn- und Feiertage. Wenn das Telefon klingelt, wird ausgerückt, bis der Täter ermittelt ist. Und dann die zweite Aufgabe: Er muss der Tat überführt werden. Denn alle Arbeit ist umsonst, wenn es vor Gericht an Beweisen mangelt.

Den nachhaltigsten Eindruck hat auf den Ermittler Starke wohl der Fall des Dieter Zurwehme gemacht. »Ich musste sie töten, das war mir klar«, sagt der fünffache Mörder Dieter Zurwehme in seiner Vernehmung. Er verübte ein Verbrechen nach dem anderen, war monatelang auf der Flucht und wurde dann völlig unspektakulär, nachdem ihn die Kräfte verlassen hatten, auf der Straße eingesammelt. Sein Töten hatte Logik. Er musste seine Opfer umbringen, um nicht von ihnen verraten zu werden. Um die Jahrhundertwende wurde er zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Starke schreibt in der dritten Person über Starke, will so Distanz zwischen sich und dem Geschehen schaffen, von dem er immer wieder betroffen und berührt ist. Er muss die Fälle von sich fern halten, nur so kann er diese Arbeit professionell über die Bühne bringen und Jahre später, wenn er darüber schreibt, innere Ruhe finden. Die Sprache, in der die Verbrechen wiedergegeben werden, ist nicht gestelzt, schnörkellos, mitunter wirkt sie fast ein wenig beamtisch. Doch das macht die Geschichten authentisch, weil nicht versucht wird, künstlich Spannung aufzubauen. Jeder der sieben Fälle spricht für sich.

Doch ist Starke überhaupt ein richtiger Kriminalkommissar einer Mordkommission? Er hat so gar nichts von den Ermittlern, die uns tagtäglich am Bildschirm überrollen. Kein pistolenschwingender, jede Sekunde in Lebensgefahr geratender Superheld, der in den letzten zwei Minuten den Fall mit Tricks und Spielerei löst. Ein Kriminalkommissar in der Realität ist irgendwo angesiedelt zwischen Bürohengst, Telefonist, Wanderarbeiter und Magier.

Schreckliche Verbrechen, das wissen wir nun, sind kein Privileg von Kriminalitätshochburgen der Großstädte, auch in ländlicher Idylle geschieht Unfassbares. Und: Jeder Fall ist einzigartig, immer wieder fängt die Mordkommission bei Null an. Das macht deren Arbeit schwer und spannend zugleich.

Gerhard Starke: »Ich musste sie töten.« Die Verbrechen des Dieter Zurwehme und andere authentische Fälle. Mit Christoph Kloft. Militzke. 224 S., geb., 16,90 €.

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