Papier will Fünf-Prozent-Hürde im Grundgesetz

Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts: Sperrklausel für Stabilität immer noch nötig / Fülberth weist Argumentation zurück

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Berlin. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat die Aufnahme der Fünf-Prozent-Klausel ins Grundgesetz gefordert. »Eine Verankerung der Fünf-Prozent-Klausel im Grundgesetz wäre sehr zu befürworten«, sagte er der »Rhein-Neckar-Zeitung«. Damit ging er auf Überlegungen der Großen Koalition ein, wie auf das Verfassungsgerichtsurteil zu reagieren sei, durch das Ende Februar die Drei-Prozent-Hürde für Europawahlen gekippt worden war. »Gut möglich, dass die Richter eines Tages auch die Fünf-Prozent-Klausel bei der Bundestagswahl in Frage stellen könnten. Die unterschiedliche Behandlung von Bundestag und EU-Parlament in dieser Frage wird jedenfalls immer fragwürdiger«, sagte Papier.

Er sprach sich deutlich für eine Sperrklausel bei Bundestagswahlen aus. »Ob nun fünf Prozent oder drei Prozent, (das) halte ich nach wie vor für erforderlich«, so Papier. Die »Stabilität des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik« beruhe wesentlich auf dieser Hürde. »Einfach mal zu probieren, ob es auch ohne Sperrklausel gut geht, halte ich für ein gefährliches Experiment«, warnte er.

Der Politikwissenschaftler Georg Fülberth hatte dies in »neues deutschland« zurückgewiesen. Das Argument, die Weimarer Republik »sei daran gescheitert, dass Extremisten von rechts und links das Land unregierbar gemacht hätten«, weshalb sie nun »durch eine Sperre von den Parlamenten ferngehalten werden«, stehe mit den historischen Fakten im Widerspruch. »Die Feinde der Demokratie waren in der Weimarer Republik bald keine Minderheiten mehr. Zu Splitterparteien wurden dagegen schließlich die Liberalen«, so Fülberth.

»Das jenseits der Extremistenfurcht manchmal vorgebrachte Argument, es müsse eine Sperrklausel bleiben, damit eine handlungsfähige Regierung zustande komme, ist gleich aus zwei Gründen windig«, so Fülberth weiter. »Erstens: In einer Bundestagswahl wird eine Legislative, das Parlament, bestimmt und zunächst sonst gar nichts. Und zweitens: Warum sollte bei einer größeren Zahl von Parteien eine Mehrheitsbildung, die zu einer stabilen Exekutive führt, ausgeschlossen sein?«

Zuvor hatte unter anderem der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, die Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen gefordert. »Wir sind eine erwachsene Demokratie. Zugangshürden sind Demokratiehürden«, sagte er der »Berliner Zeitung«. Die Sperrklausel verfälsche Wahlergebnisse. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen eine Prozenthürde bei der Europawahl müsse eine Klage gegen die Sperrklausel auch bei Bundestagswahlen geprüft werden. Die etablierten Parteien seien gut beraten, sich der Diskussion nicht zu verweigern. Auch bei den Grünen gibt es Sympathien in diese Richtung.

»Sperrklauseln gehören abgeschafft«, sagt auch die Wahlrechtsexpertin der Linksfraktion, die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak. Sperrklauseln würden dazu führen, »dass die Chancengleichheit bei Wahlen verletzt wird. Und sie schränken die Freiheiten der Wahl ein. Wenn jemand überlegt, ob er die Partei seiner Wahl wählt oder aus Angst, die Stimmen könnten wegen der Sperrklausel verfallen, doch lieber eine andere Partei, dann ist das ein Problem«, so die Linkenpolitikerin.

Die Parteien der großen Koalition wenden sich dagegen entschieden gegen Überlegungen, die Fünf-Prozent-Klausel zu senken oder ganz abzuschaffen. »In 65 Jahren seit Bestehen dieser deutschen Republik gibt uns diese Klausel Stabilität und Berechenbarkeit«, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Thomas Strobl, der Zeitung. Das sei Teil der politischen und wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Ähnlich äußerte sich die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht. »Die Fünf-Prozent-Hürde hat sich über viele Jahrzehnte bei der Gewährleistung stabiler demokratischer Verhältnisse bewährt«, sagte sie. »Daran sollten wir festhalten.« Agenturen/nd

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