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Polizeigewalt in Buenos Aires: Auch eine deutsche Angelegenheit
Bayern hält an Kooperation mit Sicherheitskräften auch unter Milei fest
Straffreiheit für Beamte ist bei Polizeigewalt in Argentinien die Regel. Anfang Juli legte die Bundespolizei den Abschlussbericht ihrer interne Untersuchung über den Offizier Héctor Guerrero vor, der den Fotojournalisten Pablo Grillo bei einer der wöchentlichen Rentner*innendemonstrationen am 12. März schwer verletzt hatte. Der Bericht enthält den Schluss, dass der Vorfall, bei dem Grillo einen Hirnschaden erlitt, nachdem der Beamte ihn mit einem Tränengaskanister am Kopf getroffen hatte, auf »zufällige Umstände« zurückzuführen war.
Guerrero hat keine disziplinarischen Maßnahmen zu befürchten. Dies teilte das Zentrum für rechtliche und soziale Studien (CELS) mit, einer der Kläger in dem Strafverfahren, das den Vorfall untersucht. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation wurde der Bericht »ohne eine ernsthafte Untersuchung« erstellt und eingereicht.
Grillo war an diesem Tag nicht der Einzige, den die Polizeigewalt traf. Mehr als 100 Personen wurden verhaftet, eine 87-jährige Rentnerin von der Polizei blutig geschlagen, ein Geistlicher von der Polizei angegriffen und Jonathan Navarra erblindete auf einem Auge, nachdem der Fußballfan von einer Pfefferspraykapsel getroffen wurde.
An der Polizeigewalt in der Stadt Buenos Aires sind regelmäßig verschiedene Polizei-Organe beteiligt: Die Bundespolizei (PFA), die Flughafen-Polizei (PSA) und die Stadtpolizei Buenos Aires. Laut einem Bericht von Amnesty International Argentina sind im Jahr 2024, dem ersten Jahr unter der Regierung von Javier Milei, mehr als 1000 Menschen bei Demonstrationen verletzt worden, darunter 50 Journalist*innen und andere Medienarbeiter*innen. CELS spricht von ähnlichen Zahlen. Außerdem werden immer wieder Demonstrierende willkürlich verhaftet.
Polizei Bayern will Einhaltung der Menschenrechte unterstützen
In der Stadtpolizei von Buenos Aires gibt es Verbindungen nach Bayern: Bereits 2014 ist die Behörde zusammen mit der Hochschule für öffentliche Sicherheit, in der die Polizeikräfte geschult werden, eine Partnerschaft mit der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) eingegangen. Als Ziel gibt die deutsche Stiftung an, dass mit Hilfe der Bayerischen Polizei in Buenos Aires eine bürgernahe und die Menschenrechte achtende Stadtpolizei aufgebaut werden solle. Das ist auch nötig: In den Jahren nach der Militärdiktatur (1976–1983) gab es in Argentinien viele Fälle von Polizeigewalt, mit steigender Tendenz seit Mileis Amtsantritt am Tag der Menschenrechte 2023, dem 10. Dezember.
Eine Anfrage des Bayerischen Landtagsabgeordneten Benjamin Adjei (Bündnis 90/Die Grünen) ergab im Mai, dass die Landespolizei diese Kooperation auch unter der Regierung Milei aufrechterhält. So gab es 2024 die Teilnahme von »Vertretern der Sicherheitsbehörden und der Stadtpolizei Buenos Aires« an einer Veranstaltung der Bayerischen Bereitschaftspolizei (BBPol) sowie eine »Beratung und Unterstützung einzelner polizeilicher Regionalverbände in Argentinien durch einen Vertreter des BBPol«.
Dass Polizeien weltweit zusammenarbeiten, nicht nur bei der Strafverfolgung, ist nicht ungewöhnlich. Innenministerien demokratischer Staaten versuchen dabei auch, Einfluss auf Sicherheitsbehörden autoritärer Länder zu nehmen und die Einhaltung von Menschenrechten zu unterstützen. Die deutsche Polizei hat mit diesem Anspruch zum Beispiel in Chile mit gewalttätigen Behörden zusammengearbeitet, zudem gibt es ähnliche Kooperationen europäischer Polizeien etwa mit Polizei-Organen in Brasilien.
Die Beamten aus Bayern und Argentinien beschäftigten sich 2024 und 2025 mit den Themen »Führen in herausfordernden Zeiten«, »Digitalisierung« und »Die Zukunft der Polizei aktiv gestalten«. Der Begriff »Führen« kann aber auch eine veränderte Taktik bei Massenprotesten bedeuten, etwa indem vermehrt Wasserwerfer oder andere Distanzwaffen eingesetzt werden oder die Ansammlungen – wie in Deutschland sehr beliebt – von der Polizei schnell eingekesselt werden. Und zu »Digitalisierung« haben deutsche Polizeibehörden in autoritären Regimen auch schon Workshops zur Überwachung im Internet gegeben.
Problematisch werden die Kooperationen, wenn es wie jetzt in Argentinien zu einem exorbitanten Ausmaß an Gewalt kommt. Auf Nachfrage des Landtagsabgeordneten Adjei antwortet die Bayerische Staatsregierung, dass sie »der Einhaltung der Menschenrechte in allen internationalen Kooperationen höchste Bedeutung« beimesse. Die Erkenntnisse aus dem Bericht von Amnesty International Argentina zur ansteigenden Polizeigewalt würden »daher sorgfältig geprüft« und »die weitere Kooperation fortlaufend evaluiert und erforderlichenfalls angepasst«.
Kooperation wird fortgesetzt anstatt überprüft
Auf Anfrage des »nd« äußert sich die Hanns-Seidel-Stiftung in Buenos Aires trotz zuvor anderslautender Vereinbarung nur noch schriftlich und erklärt: »Wenn politisch motivierte Demonstrationen in Argentinien stattfinden, dann meistens in der Hauptstadt Buenos Aires. Bei solchen Demonstrationen kommt normalerweise nicht die Hauptstadtpolizei, sondern die argentinische Bundespolizei zum Einsatz. Die [argentinische] Bundespolizei zählt nicht zu unseren Kooperationspartnern. Sollten negative Tendenzen in der rechtsstaatlichen Entwicklung erkennbar sein, können wir hierauf jederzeit angemessen reagieren.«
Tatsächlich war es die Bundespolizei, die auf den Pressefotografen Grillo geschossen hatte. Anfang Juni erschoss sie sogar versehentlich ein siebenjähriges Kind. Doch die eindeutige Trennung der Polizeigewalt in städtische oder Bundesbehörden ist nicht immer ohne Weiteres möglich: Denn seit Amtsantritt von Javier Milei stehen diese unter dem gemeinsamen Kommando von Sicherheitsministerin Patricia Bullrich. Begründet wurde dies mit der Umsetzung des Straßenprotest-Verbots. Bullrich verteidigt in diesem Zusammenhang Polizeigewalt, streut Falschinformationen und gibt für den Schuss auf Grillo sogar ihm selbst die Schuld.
Carmen Verdú von Correpi, einer Organisation, die gegen polizeiliche und institutionelle Repression in Buenos Aires arbeitet, bestätigt die Neuerung und erklärt: »Bei jeder Mobilisierung greifen die föderalen Kräfte zusammen mit der Polizei der Stadt Buenos Aires ein. Sie alle nehmen Verhaftungen vor, sie alle setzen chemische Waffen ein und feuern Gummigeschosse ab.« Die äußerliche Erkennbarkeit der verschiedenen Polizeien ermöglicht die direkte Zuordnung der dokumentierten Gewalttaten, wie sie Amnesty International Argentina vorgenommen hat.
Auch wenn Bayern nur mit der Stadtpolizei Buenos Aires kooperieren will: Diese Behörde ist laut dem Bericht von Amnesty immer wieder an erheblichen Gewalttaten beteiligt. Auch für die besonders harte Unterdrückung der Proteste am 12. Juni 2024 und am 12. März 2025 war sie unmittelbar mitverantwortlich. Ein Großteil der willkürlichen Verhaftungen bei den Protesten gegen das »Ley Bases« (»Basis-Reformpaket«), die international für Aufsehen gesorgt haben, ging demnach auf das Konto der Stadtpolizei.
Bekannt wurde etwa der Fall eines Anwalts, der bei der Festnahme so schwer misshandelt wurde, dass Zeug*innen Sorge um sein Leben hatten. Die Stadtpolizei setzte 2024 auch wiederholt tödliche Waffen bei Demonstrationen ein, trotz eines expliziten Verbots. Von einer Kooperation mit deutscher Polizei zur Sicherung von Menschenrechten weiß man bei Argentiniens Sektion von Amnesty International nichts.
Die Organisation bewertet die beobachtete Gewalt aber als Verstöße gegen Menschenrechte – während die Staatsregierung in Bayern und die HSS noch beobachten. Die HSS will die Kooperation sogar hochfahren: »Zurzeit sind wir bestrebt, unser Polizeiprojekt auf die Polizeikräfte ausgewählter anderer Provinzen des Landes auszuweiten. Wir konzentrieren uns momentan auf die Kooperation mit der Polizei der Provinzen Feuerland und Misiones«, heißt es auf »nd«-Anfrage.
Fraglich ist, wann und wie die »sorgfältige Prüfung« der Kooperation in der Praxis stattfindet. Denn die Verletzung der Grundrechte von Demonstrierenden und die Gewalt gegenüber Pressevertreter*innen sind längst bekannt. Das Verhalten der Stadtpolizei Buenos Aires und der Sicherheitsministerin Bullrich sollte längst nicht mehr den bayerischen Standards entsprechen.
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