Offener Brief an Merz: Entwaldungsverordnung droht der Kahlschlag

Umweltorganisationen kritisieren die Forderung des Kanzlers nach einer Ausnahmeregelung für Deutschland von EU-Regelung zum Schutz von Wäldern.

Geht es nach Friedrich Merz, soll Deutschland von der Dokumentationspflicht bei der Vermarktung von Holz befreit werden.
Geht es nach Friedrich Merz, soll Deutschland von der Dokumentationspflicht bei der Vermarktung von Holz befreit werden.

Mehrere Umweltorganisationen werfen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vor, eine zentrale EU-Regelung für entwaldungsfreie Lieferketten aushöhlen zu wollen. In einem offenen Brief an den Kanzler warnen Deutsche Umwelthilfe (DUH), Nabu, WWF, Oroverde, Global Nature Fund, Robin Wood und BUND vor einem Rückschritt bei der Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (EUDR). Sie fordern, das Gesetz wie geplant bis Jahresende unverändert umzusetzen.

Die Kritik zielt auf ein Schreiben, das Merz Anfang Juli an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sandte und das dem »nd« vorliegt. Darin unterstützt der Kanzler die EUDR zwar grundsätzlich, bemängelt jedoch, dass Betriebe in Deutschland und anderen EU-Staaten mit »unverhältnismäßigen bürokratischen Auflagen« belastet würden, obwohl hier »praktisch keine Entwaldung stattfindet«. Er plädiert für eine »Null-Risiko-Variante«, die deutsche Betriebe von Dokumentationspflichten beim Vermarkten von Holz, Soja oder Fleisch befreien soll.

Das kritisieren die Umweltverbände: »Ohne verpflichtende Herkunftsnachweise drohen neue Schlupflöcher für riskante Produkte, wodurch die Umsetzung der EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte faktisch ins Leere laufen würde.« Sie warnen, dass Länder, die als risikofrei eingestuft werden, zur »Drehscheibe für illegale Produkte« werden könnten.

Außerdem würde die nachträgliche Ausnahmeregelung Wirtschaftsakteure verunsichern und Unternehmen bestrafen, die die Verordnung bereits weitgehend umgesetzt haben. Denn ein Großteil der Unternehmen sei bereits vorbereitet – auch viele kleine und mittlere Betriebe. Sie hätten in rückverfolgbare Lieferketten investiert und könnten die Vorgaben umsetzen. Dabei verweisen die Umweltverbände auf Firmen wie Tchibo, Ferrero, Danone und die Neumann-Kaffee-Gruppe, die sich allesamt für einen pünktlichen Start der EUDR zum Jahresende ausgesprochen hätten.

Erst kürzlich hatten in einem gemeinsamen Schreiben 18 EU-Agrarminister den EU-Agrarkommissar und die EU-Umweltkommissarin ebenfalls dazu aufgefordert, die Verordnung über entwaldungsfreie Produkte deutlich zu vereinfachen – vor allem für Länder mit geringem Entwaldungsrisiko. Auch sie kritisierten die hohen bürokratischen Hürden, zusätzliche Kosten und warnten davor, dass die EUDR in ihrer derzeitigen Form europäische Betriebe benachteilige und Produktionsverlagerungen außerhalb der EU begünstige. Wenige Tage später lehnte das EU-Parlament die vorhergesehene Kategorisierung von Ländern in drei Risikostufen ab – allerdings ist diese Entscheidung für die Kommission nicht bindend.

Die österreichische Menschenrechtsorganisation Südwind hat indes einen »Faktencheck« zur EU-Verordnung vorgelegt. Darin argumentiert der Verein, dass auch in EU-Ländern Entwaldung ein Problem sei und die Entwaldungsverordnung nicht nur Entwaldung, sondern auch Waldschädigung bekämpfen wolle.

Zudem seien die Warnrufe vor einer überbordenden Bürokratie unbegründet: Die Verordnung greife für den Rohstoff Holz erst dann, wenn ein sogenannter Primärwald in eine landwirtschaftlich genutzte Fläche umgewandelt werde, also ein Wald, der nicht vom Menschen kultiviert wurde. Zumindest in Österreich gebe es aber praktisch keine Primärwälder mehr, dasselbe gilt für Deutschland.

Die einzige wesentliche Neuerung für Waldbesitzer*innen sei die einmalige Angabe von Geo-Lokalisationsdaten für deren gesamte Fläche. Laut einem Bericht des österreichischen »Standard« wird in diesem Zusammenhang häufig die Falschbehauptung verbreitet, man müsse jeden Baum einzeln markieren – was einen deutlichen höheren Bürokratieaufwand zur Folge hätte.

Die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte ist seit Juni 2023 in Kraft. Ursprünglich sollte sie ab Ende 2024 gelten, doch auf Druck konservativer und rechter Parteien im EU-Parlament wurde der Start auf Ende 2025 verschoben.

Die Regelung verpflichtet Unternehmen, bei Waren wie Palmöl, Rindfleisch, Soja und Holz nachzuweisen, dass diese nicht aus Entwaldung, Waldschädigung oder illegaler Produktion stammen. Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen europäischen und außereuropäischen Firmen – alle, die solche Produkte in der EU verkaufen, müssen sich an die Regeln halten.

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