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Hellersdorfer Notunterkunft attackiert

Flüchtlinge setzen sich gegen Gruppe von sechs Männern zur Wehr / Polizeilicher Staatsschutz ermittelt

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Übergriffe gegen Asylsuchende in Berlin erreichen eine neue Eskalationsstufe: Mutmaßliche Rechtsextremisten versuchen in die Notunterkunft in Hellersdorf einzudringen.

In der Nacht zu Freitag gab es erneut einen Angriff am Flüchtlingsheim Hellersdorf. Nach Polizeiangaben sollen kurz nach Mitternacht zwei Unbekannte zunächst Bierflaschen auf das Gebäude geworfen haben. Danach sollen mindestens sechs Männer versucht haben, in das Heim einzudringen. Ein Bewohner und ein Wachschutzmann konnten das verhindern, indem sie die Tür verriegelten. Die Polizei traf erst 20 Minuten verspätet am Tatort ein. Da waren die Übeltäter bereits über alle Berge. Der polizeiliche Staatsschutz beim Landeskriminalamt hat die Ermittlungen übernommen.

Dem Bezirksverordneten der Linkspartei, Klaus-Jürgen Dahler, zufolge war dem Ereignis Übergriffe auf zwei jugendliche Bewohner des Flüchtlingsheimes vorausgegangen. «Die beiden 19 und 20 Jahre alten Männer sind am Cottbuser Platz aus der U-Bahn gestiegen und wurden nach ihrer Darstellung ab der U-Bahnstation von circa 15 Leuten verfolgt, bedroht und mit Flaschen beworfen.» Sie hätten sich in das Heim retten können und blieben unverletzt, sagt Dahler. «Natürlich sind sie jetzt verängstigt.» Er spricht von einer «regelrechten Hetzjagd». «Ich habe den Betroffenen meine Solidarität und Anteilnahme ausgedrückt und der Heimleiterin versichert, dass unsere Fraktion im Abgeordnetenhaus zum wiederholten Mal die Sicherheitslage am Heim thematisieren wird. »Kein normaler Mensch kann verstehen, dass die Polizei erst nach 20 Minuten am Tatort war«, so Dahler. Denn immerhin handle es sich um einen Ort, an dem wiederholt fremdenfeindliche Vorfälle stattfinden.

Hakan Taş von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus sagt: »Ich kann nicht erkennen, dass die Polizei in der Lage ist, Flüchtlinge in Hellersdorf vor Gewalttaten zu schützen. Ich fordere vor dem dortigen Flüchtlingsheim mehr Polizeipräsenz, eine Kameraüberwachung und eine Alarmanlage.«
Auf der Facebookseite der rechten Bürgerbewegung Hellersdorf zeigt man hingegen Verständnis für den Anschlag. Dort finden sich Einträge wie: »Der Hass wird immer größer! Das zeigt doch wieder, dass dieses Heim hier einfach nicht erwünscht ist.« oder »Brauchen sich doch nicht wundern. Die Menschen fangen an, sich zu wehren.« Auch ein offener Gewaltaufruf, der an dieser Stelle im Detail nicht wiedergegeben werden muss, findet sich dort.

Der Anschlag ist zwar nicht der erste auf das Hellersdorfer Heim, aber er besitzt eine neue Qualität. Bisher waren es Einzeltäter oder Duos, die etwa in der Silvesternacht Eingangstüren mit Böllern zerstört hatten oder im Januar vor dem Heim grölten und urinierten. Diesmal handelt es sich um eine größere Gruppe.
In der letzten Sitzung des Verfassungsschutzausschusses hatten die Grünen Innensenator Frank Henkel (CDU) nach seinem Vorgehen gegen die rechten Nein-Zum-Heim-Seiten auf Facebook befragt. Solche Seiten gibt es nach dem Hellersdorfer Vorbild inzwischen auch in Pankow, Neukölln, Köpenick und seit wenigen Tagen in Lichtenberg. Dort werde gezielt Stimmung gegen Flüchtlinge in der ganzen Stadt gemacht, sagte der Senator. »Das ist eine Kampfansage gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung.«

Dennoch sieht Henkel nach eigenen Angaben kaum rechtliche Handhabe, gegen die anonymen Betreiber vorzugehen. Denn die Server stehen im Ausland. Das ist dieselbe Argumentation, mit der Henkel lange seine weitgehende Untätigkeit gegen die Internetseite des rechtsextremen »Nationalen Widerstandes Berlin« begründet hatte. Ein schärferes Vorgehen gab es erst nach Bekanntwerden der NSU-Morde. Inzwischen hat der Ermittlungsdruck dazu geführt, dass die Akteure die Seite selbst vom Netz genommen haben.

Hakan Taş sagt dazu: »Ich habe den Eindruck, die Verwaltung hat kein wirkliches Interesse daran, die Seiten abzuschalten. Beispiele aus Nordrhein-Westfalen zeigen aber, dass ein Verbot durchaus greifen kann.«

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