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Zeitfenster in den Literaturbetrieb

Hunderte Porträts von Schriftstellern hat Renate von Mangoldt im Verlauf von fünf Jahrzehnten gemacht - in Lübeck sind derzeit viele zu sehen

  • Lutz Gallinat, Lübeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Ob Elfriede Jelinek, Wolfgang Koeppen oder Thomas Bernhard - Renate von Mangoldt hast sie alle vor der Linse gehabt. Nun ist ein Lübeck eine Werkschau zu sehen.

Im Sommer 1963 erblickt Renate von Mangoldt auf den »Internationalen Theaterwochen der Studentenbühnen« in ihrer Heimatstadt Erlangen im Publikum den Schriftsteller Walter Höllerer und fotografiert ihn - so entsteht das erste Autorenporträt der damals 23-Jährigen. Derzeit sind im Günter Grass-Haus Lübeck zahlreiche Porträts zu sehen, die Mangoldt im Laufe von fünf Jahrzehnten schuf.

Nach dem Abitur hatte die junge Frau zunächst die Bayerische Staatslehranstalt für Fotografie in München besucht. Sie interessierte sich für Kunst, verspürte selbst jedoch eigentlich nicht den Drang, sich künstlerisch zu verwirklichen. In der Fotografie entdeckte sie einen Kompromiss, »der mich in die Nähe der Kunst platzierte, ohne die Künstlerin sein zu müssen, zu der ich mich nicht berufen fühlte«.

1964 ging sie als Fotografin an das Literarische Colloquium Berlin, das Walter Höllerer ein Jahr zuvor als Forum, Schreibwerkstatt und Talentschmiede für junge Autoren gegründet hatte. Ihre erste Aufgabe war es, die jungen Autoren der Schreibwerkstatt »Prosaschreiben« abzulichten, darunter Hubert Fichte, Nicolas Born und Peter Bichsel. Im Jahr darauf heirateten Renate Mangoldt und Walter Höllerer, fortan hielt sie sich im Umfeld der Literatur auf. Sie orientierte sich mit ihrer Kamera am literarischen Leben in Deutschland und entwickelte sich selbst zur passionierten Leserin. Später unternahm sie auch Reisen, um Autoren, die nicht im Colloquium waren, zu fotografieren. »Ohne diese Initiativen hätte ich keine Fotos von Jelinek oder Koeppen oder Krolow oder Bernhard«, sagte sie in einem Interview mit Felicitas Hoppe, das in ihrem Fotoband »Autoren« abgedruckt ist. In ihren Porträts versucht Renate von Mangoldt stets, eine Wahrheit zu generieren, eine spezielle Facette des Charakters auszudrücken. Fast alle Bilder entstehen spontan, aus dem Augenblick, ohne aufwendige Inszenierungen. Als Fotografin arbeitet sie diskret, im Mittelpunkt steht das Interesse an der Person, nicht der eigene Gestaltungswille. So glückt es ihr, Nähe zu bewirken und zugleich die erforderliche Distanz zu wahren, um die Würde der Porträtierten nicht zu beeinträchtigen.

Die mehr als 1000 Aufnahmen, die Renate von Mangoldt in den letzten fünf Jahrzehnten von deutschen und internationalen Schriftstellern kreiert hat, zeigen auch die Atmosphäre der Dekade, in der sie entstanden. Kleidung, Brillen und Frisuren vermitteln Auskunft über die jeweilige Zeit. Das einst wichtigste Accessoire des Literaturbetriebs, die Zigarette, ist heute weitestgehend verschwunden.

»Die Ausstellung ermöglicht eine Zeitreise durch die letzten fünf Jahrzehnte der deutschen Literaturgeschichte. Renate von Mangoldt gelingt es, in ihren Aufnahmen Intimität herzustellen, ohne dabei indiskret zu werden«, hebt Museumsleiter Jörg-Philipp Thomsa hervor. Tatsächlich: Mit jeder Fotografie öffnet sich gewissermaßen ein Fenster, durch das wir heute in die Vergangenheit blicken können.

Ausstellung »Renate von Mangoldt. Autorenfotos aus fünf Jahrzehnten« - noch bis zum 13. April im Günter Grass-Haus Lübeck, Glockengießerstraße 21; Tel. 0451/122 4230

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