Nahles: Mindestlohn erst ab 18

CDU-Generalsekretär gegen schnelle Anhebung auf zehn Euro: »Schreckensmarke« / Linkenchef appelliert an Gewerkschaften

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Berlin. In der Mindestlohn-Debatte haben sich Experten und der CDU-Generalsekretär Peter Tauber erneut für Ausnahmen und gegen eine schnelle Anhebung ausgesprochen. Mit Blick auf Forderungen der Gewerkschaft ver.di sprach Tauber gegenüber der »Leipziger Volkszeitung« von einer »Schreckensmarke zehn Euro«. Der CDU-Politiker forderte zudem für Branchen und Regionen mehr Zeit, um sich ab 2015 auf 8,50 Euro pro Stunde einstellen zu können. »Es würde den Anpassungsprozess erschweren und dürfte zum Verlust von Arbeitsplätzen führen«, legte man die Latte beim Mindestlohn rasch höher.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr vom geplanten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde ausnehmen. »Wir müssen verhindern, dass junge Menschen lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob annehmen, statt eine Ausbildung anzufangen«, sagte die SPD-Ministerin der »Bild am Sonntag«. Weitere von der Union geforderte Ausnahmen etwa für Rentner oder Minijobber lehnt Nahles jedoch ab. »Das geht nicht. Warum sollen Menschen schlechter bezahlt werden, nur weil sie älter sind oder weniger Stunden arbeiten als andere?«

Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn kritisierte die Altersbegrenzung. »Mir leuchtet es nicht ein warum Menschen unter 18 keinen Mindestlohn bekommen sollen«, so der Politiker auf Twitter.

Ihren Gesetzentwurf zum Mindestlohn will die Ministerin Anfang der Woche den anderen Ressorts zuleiten. Sie gehe nicht davon aus, dass es durch den Mindestlohn zur Vernichtung von Arbeitsplätzen kommt. »Ich prognostiziere, dass der allgemeine Mindestlohn keine negativen Effekte auf den Arbeitsmarkt hat«, sagte Nahles der Zeitung. Nach Berechnungen ihres Ministeriums werden ab Januar nächsten Jahres 3,7 Millionen Menschen vom flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn profitieren. In einem »ernsthaften Dialog« stehe sie mit Branchen, die Probleme mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro haben. Diese hätten bis zum 1. Januar 2017 Zeit, ihre Löhne über Tarifverträge schrittweise auf 8,50 Euro anzuheben. Gespräche über Ausnahmen bis 2017 hat Nahles nach eigenen Angaben mit Gaststättenbetrieben, Taxifahrern, Callcentern, Zeitungsverlegern, Erntehelfern geführt.

In der »Frankfurter Allgemeinen« sprach sich der Berliner Arbeitsmarktforscher Ronnie Schöb derweil generell gegen einen Mindestlohn aus. Weder dürfe man das Ost-West-Gefälle bei der Nachfrage nach gering qualifizierter Arbeit vernachlässigen noch sei von den Befürwortern wirklich glaubhaft gemacht worden, dass vom Mindestlohn die wirklich Bedürftigen profitieren. Schöb warnte vor Stellenverlusten und kritisierte, dass in der deutschen Mindestlohn-Debatte »unehrlich« argumentiert werde. Dies betreffe vor allem die Verweise auf die Lage in Frankreich, wo der Mindestlohn derzeit mit 9,43 einer der höchsten in Europa ist.

So sei »wissenschaftlich relativ unumstritten, dass der hohe Mindestlohn in Frankreich einen Anteil an der hohen Jugendarbeitslosigkeit dort hat«, sagte Schöb. Zum anderen werde hierzulande »ignoriert, dass die Franzosen ein Mischmodell aus Mindest- und Kombilohn haben. Unternehmen bekommen für jeden zum Mindestlohn Beschäftigten eine Lohnsubvention in Höhe von 26 Prozent. Das heißt, dass die Regierung in Paris rund 22 Milliarden Euro Steuergeld im Jahr aufwendet, um weitreichendere negative Beschäftigungseffekte des Mindestlohns zu vermeiden«. Auf die Bundesrepublik übertragen hieße das Schöb zufolge, dass zur Vermeidung »negativer Beschäftigungseffekte eines Mindestlohns von 8,50 Euro bis zu 17 Milliarden Euro jährlich« aufgewandt werden müssten.

Offenbar ist zumindest der Unionsteil in der Regierung bereit, den Forderungen der Unternehmen und von dem Mindestlohn kritisch gegenüberstehenden Experten nachzugeben. In der »Frankfurter Allgemeinen« wird Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Gespräch mit den Präsidenten der vier Spitzenlobbyverbände der Wirtschaft mit den Worten zitiert, »sie dürfen davon ausgehen, dass wir Ihre Ratschläge auch aufnehmen und einiges davon umsetzen«. Sie gebe allerdings keine Versprechen dazu ab, schränkte Merkel ein. Die Unternehmensvertreter hatten zuvor in einem gemeinsamen Papier erklärt, ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn gefährde Beschäftigungschancen. »Ausnahmen vom Mindestlohn müssen für Personen mit Vermittlungshemmnissen möglich bleiben. Ebenso müssen Abweichungen für junge Menschen vorgesehen werden, um keine falschen Anreize zu setzen, durch die die Ausbildungsbereitschaft eingeschränkt wird«, so ein Papier der Verbände.

Der designierte Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, sagte dagegen im Gespräch mit der »Leipziger Volkszeitung«, dem DGB gehe »es darum, den Mindestlohn mit 8,50 Euro einzuführen und durchzusetzen - ohne jegliche Ausnahme«. Er verwies auch auf die politisch vereinbarte Konzeption des Mindestlohns. »Der Mindestlohn muss nach seiner Einführung nachlaufend zu der Tarifentwicklung erhöht werden. Da sind wir uns einig, da gibt es keinen Dissens.« Hoffmann bezog sich dabei auf unterschiedliche Forderungen im Gewerkschaftslager nach Höhe und Tempo der Anpassung des Mindestlohns.

Die Gewerkschaften wollten eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns im jährlichen Rhythmus und zwar als eine nachlaufende Anhebung gekoppelt an die Tarifentwicklung. Wenn das 2016 nicht möglich sei, dann 2017, aber unter der Berücksichtigung der Entwicklungen der Jahre 2015 und 2016. Ver.di-Chef Frank Bsirske hatte sich für eine schnelle Mindestlohn-Anhebung auf zehn Euro ausgesprochen, dies war unter anderem in der IG BCE zurückgewiesen worden. Unterdessen appellierte Linken-Chef Bernd Riexinger an die Gewerkschaften, »ihre Marschrichtung beim Mindestlohn zu klären«. Sie seien »für höhere Löhne da und basta.« Zehn Euro seien gerecht und machbar. Es gehe nicht, dass »Gewerkschafter als politische Lohndrücker unterwegs sind«. Agenturen/nd

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