Zur Not auch mit Maulkorb

Im Kampf für die Demokratie werfen die Grünen auch mal demokratische Grundrechte über Bord

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Grünen, einst dem Pazifismus als einem ihrer Gründungsmythen verbunden, pflegen inzwischen einen schrillen Ton in ihrer Außenpolitik. Dabei übertreffen sie sich immer wieder selbst.

Das Fass zum Überlaufen brachten für Detlef Reppenhagen die »Äußerungen führender Grüner in der Krimkrise«. Seit 2007 Mitglied der Partei, kündigte der Diplomphysiker in Weil der Stadt (Baden-Württemberg) an, die Partei verlassen zu wollen. Besonders hebt er hierbei den Versuch von führenden Grünen im EU-Parlament hervor, ein Redeverbot für Gerhard Schröder per Parlamentsbeschluss durchsetzen zu wollen.

Rebecca Harms und Daniel Cohn-Bendit, Abgeordnete und seit Jahren Führungsfiguren der europäischen Grünen, hatten in der letzten Woche in einer Resolution zur Ukraine eine Passage über den ehemaligen Bundeskanzler unterzubringen versucht. Öffentliche Äußerungen über die Ukraine in der Funktion als ehemaliger Bundeskanzler sollten ihm untersagt werden. Aufgrund seiner Beziehungen zu dem Unternehmen Gazprom, das eines der bedeutendsten außenpolitischen Instrumente Russlands darstelle, befände sich Schröder »in einem eindeutigen Interessenkonflikt«. Die Abgeordneten folgten dem Antrag nicht, er sorgte gleichwohl für ausreichend Gesprächs- und Empörungsstoff.

Nils Annen, einer der strategischen Köpfe der SPD, reagierte via Twitter beinahe erstaunt: »Grüne und Redefreiheit - dass diese Begriffe einmal gegeneinander stehen würden, hätte ich mir nicht vorstellen können.« SPD und Grüne, im Jahr 1999 noch in einer Koalition gemeinsam verantwortlich für den Eintritt Deutschlands in den Jugoslawienkrieg, haben mittlerweile ein unterschiedliches Tempo vorgelegt, was die Verschärfung der kriegerischen Rhetorik gegenüber Russland angeht. Die Grünen sind deutlich schneller.

Dass ihnen dabei der Altkanzler in den Weg geraten könnte, war wohl überraschend gekommen. Und es brachte ihre Argumentation - die Lostrennung der Krim von der Ukraine ist ein Völkerrechtsbruch und scharf zu ahnden - ins Wanken. Denn Schröder hatte sich geweigert, seinen Freund Putin zu verurteilen und dies damit begründet, dass auch die Entscheidung für die Bombardierungen Jugoslawiens nicht von einem Beschluss der Vereinten Nationen gedeckt war. Im Jugoslawienkonflikt habe die Bundesrepublik »zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt - ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte«. Den deutschen Außenminister und damaligen Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier lobend, unterstützte er dessen Vorschlag einer Kontaktgruppe für Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland und sprach sich zugleich gegen Sanktionen aus. »Es trifft uns mehr als andere«, so Schröder.

Mittlerweile haben die Beschlüsse der EU und der Bundesregierung - für Sanktionen - seine Warnungen obsolet gemacht, aber mit dem Vergleich der abtrünnigen jugoslawischen Provinz Kosovo und der in Abtrennung von der Ukraine befindlichen Halbinsel Krim hat Schröder die Diskussion heftig befeuert. In dieser sehen sich die Grünen bemüßigt, alle Parallelen ihres damaligen und des heutigen russischen Vorgehens zu bestreiten. Kritische Grüne scheint das an längst vergangene Zeiten zu erinnern. Für mich ist der kalte Krieg »NATO gegen Warschauer Pakt« längst vorbei, schreibt Detlef Reppenhagen. In den »Köpfen einiger Grüner« sei dies hingegen noch nicht angekommen.

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