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Anspruchsvoll und widerständig

Der Berliner Verlag Klaus Wagenbach wird fünfzig

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer nach der durchschnittlichen Lebensdauer von Buchverlagen sucht, wird bei einer nicht aussagekräftigen Zahl landen. Da gibt es, um im Bild zu bleiben, eine hohe Kindersterblichkeit und es gibt den einen oder anderen Methusalem. Der Leiter des Schwabe-Verlages aus Basel zeigt bei Präsentationen gern einen in seinem Hause erschienenen »Raubdruck« der Gutenberg-Bibel und ermuntert seine Gesprächspartner: »Blättern Sie ruhig in dem Buch, das Papier hält weitere 500 Jahre!« C.H. Beck aus München ist 250 Jahre alt und Walter de Gruyter in Berlin zählt auch zu den alten Eichen im deutschen Bücherwald.

Wenn dann ein Verlag seinen »Fünfzigsten« feiert, mag das in der Nähe des statistischen Durchschnitts liegen. Beim Berliner Verlag Klaus Wagenbach ist es anders: Er wurde als Wagnis gegründet, keiner gab ihm realistische Überlebenschancen und er tat aus voller Überzeugung viel, um diese Skepsis zu rechtfertigen.

Klaus Wagenbach war nach dem Krieg zu dem noch nicht gespaltenen Verlag Suhrkamp/S. Fischer als Lehrling gelangt, hatte 1957 über die frühen Jahre von Franz Kafka promoviert und war als Lektor bis 1964 bei S. Fischer tätig. Als der Verlag vom liberalen Ehepaar Bermann-Fischer auf den Holtzbrinck-Konzern überging, flog der »linke« Wagenbach raus.

In einem zum 50. Verlagsjubiläum herausgegebenen Almanach erinnert sich Klaus Wagenbach: »Wer libertäre Meinungen verbreitet in unserem Land, der muss mit ein paar Kurven in der Biographie rechnen, und die führen mit einer gewissen Logik zu einem Punkt, von dem an man solche Meinungen nur noch auf eigenes Risiko vertreten kann.« Die Alternative Verlagsgründung führte zur Gründung eines alternativen Verlages, die mit den befreundeten Autoren Hans Werner Richter, Johannes Bobrowski, Walter Höllerer, Günter Grass und Ingeborg Bachmann sowie mit seiner Frau, der Buchhändlertochter Katharina Wagenbach-Wolff besprochen wurde. Das ergab ein erstes inhaltliches, ein politisches Profil.

Die verlegerischen und kaufmännischen Abweichungen vom »normalen« Standard waren z.T. nicht mehr als gute Vorsätze, die bald von den Produktionsbedingungen im real existierenden Kapitalismus auf eine harte Probe gestellt wurden. Das Startkapital reichte gerade für die Herstellungskosten der ersten elf Bücher, »Quartheften« wie der Verlag sie nannte. Das verhieß dem Verlag keine Lebenserwartung über die erste Saison hinaus. Immerhin wurde auf Schrift, Format und Papier Wert gelegt und man versuchte, den »Widerspruch zwischen der unser Metier bestimmenden industriellen Produktionsweise und der Individualität des Produkts« auszuhalten.

Schönstes Beispiel für dieses nachhaltige Verlagskonzept ist die viel später entwickelte SALTO-Reihe mit dem roten Leinenumschlag. Wider Erwarten wurden die ersten Quarthefte mit den prominenteren Autoren so gut verkauft, dass ein halbes Jahr später drei weitere mit unbekannteren Autoren folgen konnten: F.C. Delius, Stephan Hermlin, Wolf Biermann.

Nicht alle Autoren konnte der Verlag halten: Günter Grass ging zu Steidl, Ingeborg Bachmann zu Piper, F.C. Delius zu Rowohlt und Wolf Biermann - das war die große Enttäuschung für Klaus Wagenbach - kam nach seiner Ausbürgerung und Übersiedlung in den Westen nicht ein einziges Mal in den Verlag, der ihn »entdeckt«und gefördert hatte - und der für ihn einen nicht beabsichtigten Konflikt mit der DDR aushalten musste. Auch später liefen Autoren »von der Fahne« - einer der Prominentesten war Michel Houellebecq. Immerhin ist seine »Ausweitung der Kampfzone« als Taschenbuch bei Wagenbach lieferbar. Man konnte und wollte hier nicht jeden Preis für den Erwerb von Übersetzungsrechten bezahlen.

Nach dem überraschend geglückten Anfang ging es nicht etwa immer bergauf mit dem Verlag. Unberechenbar ist das Geschäft mit Büchern - berechenbar war der politische Gegenwind, der einem unbequemen, linken und vor allem unabhängigen Verlag entgegenschlug. Meinungs- und Pressefreiheit und der Satz im Grundgesetz »eine Zensur findet nicht statt« sind die schöne Seite der Veranstaltung »Bundesrepublik«. Eine wildgewordene Staatsanwaltschaft, jahrelange, am Ende meist gewonnene Prozesse waren Knüppel zwischen die Beine des Verlages. Sie förderten zwar Publizität und Sympathien in Kreisen des linken Publikums, absorbierten aber Geld und »manpower« im personell knapp besetzten Verlag.

Mit Hilfe von Freunden und dank des Einsatzes des Rechtsanwalts Otto Schily ging diese Periode der Hexenjagd vorüber. Das Spannungsverhältnis zwischen Solidarität und Intoleranz musste auch eine leitende Buchhändlerin der Westberliner Buchhandlung »Camilla Späth« aushalten. Sie hatte ein Schaufenster mit Büchern des Wagenbach-Verlages dekoriert und wurde vom Inhaber zurückgepfiffen. Auch für sie galt, dass sie, wollte sie die Bücher ausstellen, die sie für wichtig hielt, es nur auf eigenes Risiko tun konnte. Sie machte sich selbstständig und übernahm mit einer Kollegin Wolff’s Bücherei, die der Schwiegervater von Klaus Wagenbach gegründet hatte.

Es folgten persönliche Veränderungen beim Verleger: die Scheidung von seiner Frau Katharina, neue Verbindungen. Schließlich ging die Leitung des Verlages fließend auf die nächste Generation über: Susanne Schüssler und die Tochter Nina Wagenbach (Vertrieb) prägten im letzten Jahrzehnt das Gesicht des Verlages. Immer um einen vorlauten Spruch bemüht (»Der unabhängige Verlag für wilde Leser«) kommt es bei dem Gründer schon mal zu einem Anflug von »linker« Arroganz. Vorwurfsvoll gefragt, warum er denn der »Toskana-Fraktion« angehöre, also Deutschen, die in Italien Landhäuser besitzen, antwortet der Verleger, den man immer mit italienischer Literatur in Verbindung bringt: »Ich gehöre ihr nicht nur an, ich habe sie gegründet!«

Ob das stimmt, sei dahingestellt. Gegründet hat er einen Verlag, der wichtige, widerständige, unbequeme, literarisch wertvolle Bücher verlegt und der das Kunststück fertiggebracht hat, im Gegenwind Fahrt aufzunehmen und Anspruch wie Profil zu halten.

Jubiläumslesung am 27. März, 20 Uhr, im LCB Berlin: Fünf junge Autoren stellen sich vor - Orfa Alarcón (Mexiko), Arthur Larrue (Frankreich), Owen Martell (England), Eva Roman (Deutschland) und Paola Soriga (Italien).

Anm. d. Red.: Dieser Text ist eine am 1. April geänderte Version der Fassung vom 25. März.

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