Vom Fließband auf den Müll

Durch geplanten Verschleiß gehen Waren immer schneller kaputt - eine Katastrophe für Wirtschaft und Umwelt

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 7 Min.
Alle vier Jahre ein Fernseher, alle zwei eine Kamera, jedes Jahr ein Handy: Wir sind eine Wegwerfgesellschaft. Oder zwingt uns die Industrie dazu? Immer mehr Menschen sagen: »Murks? Nein Danke!«

Familie F. hat sich endlich einen Tisch gekauft. Es ist ein schöner, dunkles Holz, matte Lasur. Stattliche 2,80 mal einen Meter misst er, damit die ganze Familie Platz dran hat. Er war sogar erschwinglich, einzige Bedingung: Die Firma, die ihn hergestellt hat, bestimmt, welches Geschirr darauf gestellt werden darf. Und auch, wann der Tisch benutzt wird und wofür: nämlich nur zum Essen. Zum Kaffeetrinken oder für den Spieleabend soll sich Familie F. das passende Modell derselben Firma nachkaufen. Kurz nach Ablauf der Garantie - das wissen die glücklichen Tischbesitzer aber noch nicht - bricht dann ein Bein ab. Automatisch. Das gute Stück war nur dafür ausgelegt, fünf Mal umgestellt zu werden. Ein kleiner Zähler im Holz hat heimlich mitgerechnet.

Was bei einem Tisch absurd erscheint, ist Alltag bei vielen Gebrauchsgegenständen. Sie sind nur eingeschränkt nutzbar - nicht, weil es anders nicht geht, sondern weil ihre Hersteller sie so konstruieren. Viele gehen gleich ganz kaputt, ebenso einkalkuliert.

Geplante Obsoleszenz nennt das der Fachmann. Murks nennt es Stefan Schridde. »Murks? Nein Danke!« heißt der Verein, den der Diplomwirt 2012 gegründet hat. »Wir müssen endlich auf die Dinge hinweisen, die unsere Wirtschaft an die Wand fahren und unsere Umwelt zerstören«, erklärt Schridde. »Einen Haufen Geld und einen Haufen Müll« produziere die Industrie durch gewollten Verschleiß.

Über die Webseite des Vereins können Verbraucher Murks melden oder defekte Produkte einschicken - Schriddes Beweismittel: kaputte Drucker, alte elektrische Zahnbürsten und gebrochene Schuhsohlen. Normalerweise stapeln sie sich in seiner Wohnung. Jetzt stehen sie im Erdgeschoss des IG-Metall-Hauses in Berlin. Dort läuft eine Ausstellung, die Spuren gewollter Fehlkonstruktion zeigt, gerade wurde sie bis Ende April verlängert. Sobald er einen Ort dafür gefunden hat, will Schridde das »Murkseum« eröffnen: ein Museum für den vermeidbaren Müll.

»Die Leute sollen sehen: Hier geht es nicht um Einzelfälle, sondern gängige Praxis«, sagt Schridde und zeigt auf die Exponate der Murks-Ausstellung. Mixer, die nur im Kurzbetrieb, also für wenige Minuten oder gar Sekunden funktionieren - sonst brennen sie durch. Waschmaschinen, bei denen ein kaputtes Kugellager zum Totalschaden wird. Die sind mittlerweile fast immer fest in der Trommel verbaut. »Bis vor zehn Jahren konnten Sie das in 30 Minuten reparieren, heute können Sie gleich eine neue Maschine kaufen.«

Produkte gehen schneller kaputt - und lassen sich immer schwieriger reparieren. »Das lohnt sich nicht«, hören enttäuschte Verbraucher meistens vom Elektriker. Mit Ersatzteilen wird Reparaturwucher getrieben, oder es sind keine verfügbar. Bei Laptops oder DVD-Playern ist das Gehäuse oft verklebt, so dass auch Profis nicht an das Innenleben herankommen - ohne dabei das komplette Gerät zu zerstören.

Einen häufigen Konstruktionsfehler hat Schridde sogar selbst aufgedeckt: Elektrolytkondensatoren, kurz Elkos, die die Spannung in elektronischen Geräten speichern. Beim gemeldeten Murks stellte Schridde immer wieder fest: Die Elkos waren bei PC-Bildschirmen auf der Platine gleich neben dem Kühlsystem befestigt - dort, wo es besonders heiß wird. Hitze verringert die Lebensdauer der Elkos. »Sehen Sie, dabei muss das nicht sein - hier ist überall noch Platz auf der Platine!« Auch höherwertiges Material könnte verhindern, dass die kleinen Zylinder und Platten früh durchbrennen - ein Aufwand im sogenannten Subcent-Bereich: »Da passiert preislich nichts, wenn Sie etwas Besseres verwenden.«

All diese Beispiele - sie sind bestenfalls Indizien. Es existieren nur wenige belastbare Untersuchungen. Die Stiftung Warentest konnte 2013 in einer Studie keine Anzeichen für geplanten Verschleiß finden - obwohl sie selbst Beispiele dafür nennt. Obsoleszenz lässt sich schwer beweisen, ihr böswilliger Einsatz sowieso. »Das müssten Gerichte klären«, meint Schridde. Bisher gibt es daran aber wenig politisches Interesse, auch wenn die Anti-Murks-Bewegung in Europa wächst. In Ingenieurskreisen ist Obsoleszenz ein offenes Geheimnis - die Industrie aber schweigt oder bestreitet.

»Der Vorwurf ist haltlos«, sagt eine Sprecherin des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). »Haushaltsgeräte gehen nicht schneller kaputt als früher.« Anhand von Einzelfällen werde verallgemeinert. Der Einbau von Defekten ginge gegen das Selbstverständnis der deutschen Hersteller. Ähnlich argumentiert auch Roland Stehle von der Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu). »Gewollte Obsoleszenz gibt es nicht«, sagt Stehle. Technisch sei sie gar nicht machbar. Und die Hersteller könnten sie sich auch nicht leisten. »Schon von der Logik her: Wenn etwas schnell kaputt geht, wechselt der Kunde die Marke.« Die Innovationszyklen hätten sich zwar verkürzt. Früher habe der Markt von Ersatzkäufen gelebt, heute würden Technologien getauscht. Aber: »Der Kunde will das so.« Vorne mit dabei sein, das Neueste und Leistungsfähigste haben. Man verkaufe nicht einfach Nutzgeräte, sondern Lifestyle und »Anwendungswelten«. Stehle nennt als Beispiel Smartphones: »Sie können mir doch nicht erzählen, dass die alle nach zwei Jahren hin sind!«

»Das ist heuchlerisch«, ärgert sich Christian Kreiß. 3000 Werbebotschaften sehe ein Europäer jeden Tag. »Die Industrie presst den Menschen massiv Bedürfnisse ein - die Verantwortung trägt aber allein der Kunde?« Kreiß ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Hochschule Aalen. Mit Stefan Schridde hat er 2013 ein Gutachten zu Obsoleszenz im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen verfasst. Im April erscheint sein Buch »Geplanter Verschleiß«. Darin geht es auch um psychologische Obsoleszenz: Produkte veralten schneller, weil neue Entwicklungen scheibchenweise auf den Markt kommen. Wie beim Fernseher: vom flachen HD-Bildschirm zum Full-HD, dann 3D-fähige Fernseher, derzeit Geräte mit Internetzugang und bald der sogenannte 4K-Fernseher, der die vierfache HD-Auflösung besitzt - alles innerhalb weniger Jahre.

»Die Industrie will oft verhindern, dass eine Entwicklung dem Kunden zugute kommt«, meint Kreiß. Er ist überzeugt, dass Ingenieure sehr genau planen können, wie lange ein Produkt hält - das werde vom Management auch verlangt. Oft gehe es dem nicht darum, das meiste aus einem Gerät herauszuholen. Im Gegenteil: Sogenannte Antifeatures werden bewusst eingebaut, um Funktionen zu begrenzen. In baugleichen Kameramodellen bestimmt eine Software, wie gut die Fotoqualität ist. Sie kommen dann in einer teuren und einer billigen Version auf den Markt.

Die Anreize für geplante Obsoleszenz sind laut Kreiß im Wirtschaftssystem selbst zu suchen: »Für den Einzelnen macht es keinen Sinn, ein Produkt langlebig zu konstruieren.« Das betreffe auch Qualitätsmarken: »Auch sie profitieren, wenn ihr Produkt nur zehn statt 30 Jahre hält« - solange die billige Konkurrenz nur für fünf Jahre produziert. Das Marktprinzip »das Beste setzt sich durch« wird dabei außer Kraft gesetzt: »Ein Kunde wandert nur ab, wenn der Markt transparent ist«, sagt Kreiß. Die Vielzahl an Modellen kreiere aber einen »Schleier der Unwissenheit«: »Wie soll ich wechseln, wenn ich gar nicht mehr vergleichen kann?«

Für Kreiß ist das der ökonomische Super-Gau: »Wir produzieren für den Müll - eine Katastrophe ist das!« Der Wissenschaftler spricht von »Menschenkraftverschwendung«: Nach seinen Berechnungen fehlen den Deutschen jährlich 106 Milliarden Euro an Kaufkraft, wenn nur etwa 18 Prozent der Ausgaben für Neuanschaffungen durch vorzeitigen Verschleiß verursacht werden. Umgerechnet heißt das: Ohne Obsoleszenz drei Wochen mehr Urlaub, die 35-Stunden-Woche oder 110 Euro mehr im Monat für jeden.

Zahnbürste, Kamera, Waschmaschine: Die Erfindungen sind alt, grundlegend lässt sich an ihnen nichts mehr verändern. Ein Hersteller muss sich schon etwas einfallen lassen, wenn er regelmäßig neue Geräte verkaufen will. Gleichzeitig sind die Deutschen schon bestens ausgestattet: Auf jeden Haushalt kommen 1,58 Fernseher, 2,02 CD-Player und 1,48 Fotoapparate - davon die meisten innerhalb der letzten fünf Jahre angeschafft.

»Wir haben einen Innovationsdruck, der die Geräte schlechter und den Kaffee auch nicht besser macht«, sagt »Murks«-Gründer Stefan Schridde. Er hält die Wegwerfgesellschaft für eine Erfindung der Industrie: Laut einer aktuellen Studie wollen 80 Prozent aller Verbraucher lieber ein langlebiges Produkt als eins auf dem neuesten Stand. Für Schridde ist das keine Frage des Geschmacks, sondern eine der Zukunft: »Drei Milliarden Menschen sagen sich gerade, wir wollen auch Konsumgesellschaft werden.« Damit werden Ressourcenengpass und Klimawandel immer bedrohlicher. »Wir müssen zur Kreislaufgesellschaft werden - sonst wird es nicht funktionieren.«

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