Diese Bremse wirkt nicht

Eine Analyse des Mietrechtsnovellierungsgesetz der Großen Koalition

  • Horst Arenz
  • Lesedauer: 7 Min.

Der Referentenentwurf des Gesetzes zur so genannten Mietpreisbremse (»Mietrechtsnovellierungsgesetz«) ist da. Die SPD hatte im Wahlkampf versucht, mit dem Mietenthema in die Vorhand zu kommen. Florian Pronold, in Steinbrücks Schattenkabinett für Wohnungspolitik zuständig, hatte in einem 10-Punkte-Programm die Wohnungsfrage zum Kernpunkt sozialdemokratischer Regierungspolitik erklärt und in einem Brief an die SPD-Bundestagsfraktion die Botschaft ausgesandt, die SPD habe sich in den Koalitionsverhandlungen in dieser Frage durchgesetzt.

Auch die Kanzlerin war auf den Zug aufgesprungen und hatte sich zur Überraschung der eigenen Partei kurz vor der Wahl die Forderung einer Mietpreisbremse zu eigen gemacht. Entsprechend hat sich Justizminister Heiko Maas (SPD) beeilt. Mit dem Entwurf setzt er die Linie der SPD-Ministerriege fort, durch schnelles Handeln der Großen Koalition die Rolle des Koalitionsmotors zu erfüllen, die Gabriel in seiner 100-Tage-Bilanz bekräftigt hat.

Die Regierung reagiert damit auf die seit Jahren anhaltende Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt in den Ballungsräumen. Überraschend deutlich wird die Lage im Entwurf mit Zahlen über die Differenz zwischen Mieten in laufenden Verträgen (Bestandsmieten) und den bei Mieterwechsel am Markt angebotenen Mieten (Angebotsmieten) belegt.

In Uni-Städten wie Regensburg, Münster, Konstanz und Heidelberg 30 Prozent und mehr, in Großstädten wie Frankfurt und Hamburg 30 bzw. 28 Prozent. Auch die starke Abhängigkeit von der Lage ist dokumentiert: In Innenstadtlagen in Frankfurt erreicht der Unterschied 45 Prozent, in Berlin sind die Marktmieten im mittleren »Marktsegment« in einem Jahr in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte um bis zu 15 Prozent gestiegen, in Marzahn-Hellersdorf und Spandau »nur« halb so stark. Dass auch die Bestandsmieten in den »hot spots« den Mietspiegel häufig und deutlich übersteigen, dazu schweigt der Entwurf.

In dem Referentenentwurf werden eine Reihe von Ursachen korrekt benannt: die wachsende Attraktivität der Städte mit Blick auf Arbeitsmarkt, Ausbildung und neue Ansprüche von Familien und Senioren.

Ein zentraler Mangel tut sich allerdings schon hier auf: Ausgeklammert werden nicht nur die Dezimierung des Sozialen Wohnungsbaus auf eine verschwindende Restgröße, der Rückzug der Öffentlichen Hand aus dem Wohnungsbau (vor allem des Bundes, der Anteil der Bundesmittel für Städtebau und Wohnen beträgt nur noch 0,7 Prozent!) und die Schrumpfung der Neubautätigkeit auf ein Drittel in 20 Jahren.

Ein immer wichtigerer Zusammenhang ist ebenso wenig Thema – weder im Entwurf, noch im Koalitionsvertrag, noch bei Florian Pronold: In Folge der Finanzkrise erhält der Immobiliensektor in doppelter Hinsicht neue Bedeutung. Mit dem Einbruch ist die Stabilität der Finanzanlagen erschüttert, durch Flucht in die Sachwerte wird versucht, dies zu kompensieren. Zugleich sind im historischen Zinstief die Renditen geschrumpft.

Lebensversicherungen (mit einem Anlagevermögen hierzulande von rund 800 Mrd. in 95 Millionen Policen) und Pensionsfonds, beide gepriesen als Alternative zur – behaupteten und von der Politik beförderten – Krise der Gesetzlichen Rentenversicherung, sind in schwerem Fahrwasser, das Anlagevermögen fließt massiv in den Immobiliensektor. Die höchsten Renditen werden dabei im Niedrigpreissegment erzielt. Dort wird saniert, modernisiert und in Eigentum umgewandelt – zu Lasten bezahlbaren Wohnraums und einkommensschwacher Haushalte. Die Leerstelle bei der Ursachenanalyse hat zur Folge, dass im Koalitionsvertrag und bei der SPD das Thema Spekulation nicht vorkommt. (Im Bundestagswahlprogramm der Linkspartei wird eine Haltefrist bei Immobilienerwerb und die Abschaffung der Steuerfreiheit bei Immobilienverkauf nach zehn Jahren gefordert.)

Bemerkenswert im Entwurf ist die Herausstellung der besonderen Situation der Bestandswohnungen in innerstädtischen Lagen, in denen »erhebliche Mietsteigerungen durchgesetzt werden« können. »Erhebliche Teile der Wohnbevölkerung werden so auf Dauer aus ihren angestammten Wohnquartieren verdrängt. Hierdurch verändert sich die Bevölkerungsstruktur in kurzer Zeit teilweise dramatisch.«

Nun kann man mit Fug und Recht in Frage stellen, ob damit das Verdrängungsproblem hinreichend beschrieben ist. Immerhin müssen zum Beispiel in Berlin inzwischen 100.000 Haushalte wegen zu geringer Erstattung durch die Jobcenter über die »Kosten der Unterkunft« einen Teil ihrer Miete aus dem Regelsatz bezahlen, in ihrem Umfeld stehen aber keine für sie bezahlbaren Wohnungen zur Verfügung.

Dennoch ist die Betonung des Bestands deshalb bemerkenswert, weil in der öffentlichen Diskussion sowohl seitens der Immobilienverbände als auch der herrschenden Kommunal- und Landespolitik (zum Beispiel vom Berliner Senat) der Wohnungsneubau als der einzig wirksame Ausweg aus dem Dilemma gepriesen wird.

Wenn zu Recht auf die exponierte Problemlage in den Bestandswohnungen verwiesen wird, darf man gespannt sein, was die Bundesregierung als Lösung anzubieten gedenkt. Hier aber drängt sich ein weiterer grundsätzlicher Einwand auf. Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur hatten in den letzten Jahrzehnten den Sozialen Wohnungsbau an die Wand gefahren und damit zu einem wesentlichen Teil zu der beklagten Gentrifizierung beigetragen. Vor allem der Bund hatte sich bis auf jährliche Zuweisungen an die Länder in Höhe von 518 Millionen Euro aus diesem zentralen Bereich zurückgezogen und den Ländern den schwarzen Peter zugeschoben.

Im Koalitionsvertrag wurde nun zu Recht die »Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus« angekündigt. Aber schon dort vermisste man Handfestes: Die »Kompensationszahlungen« werden auf die 518 Millionen Euro eingefroren, ansonsten soll das Wohngeld verbessert werden. Ende der Durchsage zum Sozialen Wohnungsbau. (Die Linkspartei tritt für einen »Neustart« des Sozialen Wohnungsbaus ein, markiert u.a. durch eine Finanzierung unabhängig von den privaten Banken über ein revolvierendes Sondervermögen.)

Aber auch die anderen, im Bestand wirksamen Maßnahmen zur Mietenbegrenzung können der im Entwurf beschriebenen Problemlage nicht gerecht werden. Die Bundesregierung will – neben der bereits geltenden Begrenzung der Erhöhung der Bestandsmieten auf 15 Prozent in drei Jahren in von den Ländern zu ermittelnden »angespannten Wohnlagen« – die bei jedem Vertragswechsel mögliche Mieterhöhung auf 10 Prozent über dem ortsüblichen Mietspiegel begrenzen und das Bestellerprinzip bei Wohnungsvermittlung einführen.

So sinnvoll letzteres und die Begrenzung der Mietsteigerung bei Vertragswechsel ist, muss jedoch zunächst festgehalten werden, dass damit Vermieter ohne eigene Leistung die Wohnung real (das heißt unter Abzug der Inflationsrate) teurer vermieten können, die gleiche Leistung wird teurer. Die »Mietpreisbremse« ist kein Stopp der Mietexplosion, sie verlangsamt sie nur.

Die Mietpreisbremse wirkt zudem nicht

  • in Stadtgebieten ohne »angespannten Wohnungsmarkt«,
  • bei Erstvermietung,
  • nach »umfassender Modernisierung«,
  • wenn die Vormiete unter dem Mietspiegel liegt,
  • wenn die Vormiete sowohl in laufenden wie in Neuverträgen höher als der Mietspiegel ist (»Bestandsschutz«, Siehe S. 16 des Entwurfs: »Aus Gründen des Bestandsschutzes soll der Vermieter unabhängig von der allgemein zulässigen Miethöhe bei Mietbeginn nach § 556e Absatz 1 BGB-E jedenfalls die Miete auch im folgenden Mietverhältnis verlangen können, die er mit dem Vormieter wirksam vereinbart hat.«).

Vor allem die beiden letzten Punkte sind hochproblematisch. Der Bestandsschutz hat zur Folge, dass der existierende Zustand von im Vergleich zum Mietspiegel deutlich überhöhten Bestandsmieten zementiert wird. Hier wäre auch für laufende Verträge zumindest zu prüfen, ob rechtlich Eingriffe in die so genannte Vertragsfreiheit mit der Begründung möglich sind, dass diese Verträge mangels Alternativen faktisch unter Zwang geschlossen wurden. Die im Entwurf garantierte Anhebung der Vormiete auf den Mietspiegel birgt die Gefahr einer Mieterhöhungswelle nach Inkrafttreten. Auch die fehlende Begrenzung bei Modernisierung ist unakzeptabel, stellt sich letztere doch immer mehr als erstklassiger Verdrängungshebel heraus.

Zusätzlich wird die absolute Obergrenze von 20 Prozent über dem Mietspiegel (der Wucherparagraph im § 5 Wirtschaftsstrafrecht) abgeschafft, der zwar nur noch auf dem Papier steht, weil der/die Mieter/in beweisen muss, dass er keine Wohnung zu den alten Bedingungen findet, der aber durch Abschaffung dieser Beweislast neue Wirkung entfalten könnte.

Ob der Referentenentwurf zum Gesetzentwurf und dann zum Gesetz wird, ist offen. Die Immobilienverbände malen schon mal den Untergang des Wohnungsbaus an die Wand. Der wohnungspolitische Sprecher der Union, Jan-Marco Luczak, hat Bedenken angemeldet: Der Begriff »angespannter Wohnungsmarkt« sei zu unbestimmt und müsse durch präzise Leerstandsquoten definiert werden – da dürften sich die Anwälte schon mal die Hände reiben und das dezimierte Personal in den Wohnungsämtern das Grausen kriegen.

Luczak macht sich zudem Sorgen um den Neubau, es fehlten Maßnahmen zu seiner Förderung. Der Wirtschaftsweise Lars Feld, Mitautor des Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft, sieht das anders: »Es gibt keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Bautätigkeit durch die Mietpreisbremse.«

Der Text erschien zuerst hier.

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