Historische Chance ergriffen

Der Jurist und Netzexperte Volker Tripp sieht im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung eine Stärkung der Grundrechte

  • Lesedauer: 4 Min.
Der Europäische Gerichtshof hat die anlasslose Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt. Gegner der 
Massenspeicherung 
sehen sich in ihrer Kritik bestätigt. Die Große 
Koalition gerät über das Thema erneut in Streit.

nd: Welche Bedeutung hat das Urteil für die EU-Bürger und für ihre Grundrechte?
Tripp: Der EuGH hat heute eine historische Chance zur Verteidigung der Grundrechte und einer freiheitlichen Gesellschaft ergriffen, indem er die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in der jetzigen Form als unvereinbar mit dem Grundrecht auf Privatsphäre und mit dem auf den Schutz personenbezogener Daten verworfen hat. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, um Grundrechtsverletzungen durch die Massenspeicherung persönlichster Daten abzustellen. Der Bundesregierung wird damit zugleich das zentrale Argument für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland genommen.

Und welche praktischen Auswirkungen hat das Urteil - wird europaweit von jetzt auf sofort nicht mehr gespeichert?
Die Richtlinie ist nicht mehr in Kraft. EU-seitig ist damit der von der Bundesregierung immer wieder betonte Umsetzungszwang entfallen. Wo es noch keine Vorratsdatenspeicherung gibt, muss sie deshalb auch nicht mehr eingeführt werden. In Staaten, welche die Richtlinie bereits umgesetzt haben, wächst nun der politische Druck auf die Verantwortlichen, kritisch zu evaluieren, ob ein solches Instrument angesichts des Votums des EuGH überhaupt noch aufrecht zu erhalten ist. Da bislang allerdings nur EU-Rechtsakte an der Grundrechtecharta gemessen werden können, bedeutet das Urteil in juristischer Hinsicht nicht unbedingt, dass die bestehenden Gesetze in den einzelnen Ländern gegen EU-Recht verstoßen. Dem Geist der Entscheidung widersprechen sie jedoch allemal.

Aufgehoben ist nicht aufgeschoben

Nach dem mit Spannung erwarteten Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie streiten die politischen Akteure jeglicher Couleur nun über die Deutung der Entscheidung. Während Aktivisten und Opposition einen Sieg für die Grundrechte bejubeln, heben vor allem konservative Politiker hervor, dass die Richter nur die Richtlinie in ihrer gegenwärtigen Form, nicht hingegen die Vorratsdatenspeicherung als solche verworfen hätten. Volker Tripp über das EuGH-Urteil.

Ist die Vorratsdatenspeicherung damit endgültig vom Tisch?
Das Urteil hat die Vorratsdatenspeicherung nicht als solche endgültig verboten. Sie schreibt nur sehr enge Grenzen dafür vor. Der EuGH hat sich nicht zu der Positionierung durchringen können, dass das Vorhalten und Anhäufen von persönlichen Daten als solches den Wesensgehalt der Grundrechte aushöhlt. Ob es unter Einhaltung der nun gesetzten Grenzen aber überhaupt sinnvoll möglich ist, ein neues Gesetz zu schaffen, ist derzeit vollkommen offen. Die juristischen Hürden sind durch das Urteil deutlich heraufgesetzt.

Trotzdem speichern kommerzielle Anbieter und Dienstleister weiterhin. In welchem Verhältnis steht dazu das Nein zum staatlich verordneten Speichern?
Bislang speichern die Telekommunikationsprovider Verbindungsdaten nur zu Abrechnungszwecken. Und das passiert - wenn überhaupt - für eine Dauer von drei bis sieben Tagen. Das heißt also: Ja, es wird auch heute schon gespeichert. Ja, auch diese Speicherung eröffnet Missbrauchspotenziale, aber das ist in keiner Weise vergleichbar mit dieser anlasslosen Vollprotokollierung des gesamten Kommunikationsverkehrs der Menschen in Europa, die durch die Richtlinie vorgesehen war. Es bleibt also dabei, dass nur in Einzelfällen, in denen ein Verdacht begründet ist, die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit haben, auf diese Daten zuzugreifen.

Gleichzeitig bleibt der Missstand bestehen, dass Geheimdienste wie die US-amerikanische NSA alle möglichen Daten speichern.
Auch darauf bezogen ist das Urteil zu begrüßen. Die Richtlinie hätte dazu geführt, dass bei den privaten Telekommunikationsprovidern zahlreiche neue Datenpools angelegt worden wären. Ausländische Geheimdienste wie die NSA hätten sich wahrscheinlich sehr darüber gefreut, auf diese Daten zugreifen zu können, sie abzuschöpfen und auszuwerten. Das ist jetzt immerhin erst einmal verhindert worden. Was die NSA-Aktivitäten angeht, stehen wir vor einem sehr viel umfangreicheren Prozess. Die Bundesregierung könnte zum Beispiel etwas für besseren Datenschutz tun, indem sie sich nicht weiter einem einheitlichen europäischen Datenschutzniveau entgegenstellt.

Ihr Verein gehört der neuen internationalen »Koalition gegen unrechtmäßige Exporte von Überwachungstechnologien« (CAUSE) an. Welche Rolle spielt der Handel mit derlei Technologien in der Debatte um Grundrechtsschutz?
Das Urteil ist eine sehr gute Gelegenheit, um insgesamt die Debatte um Überwachungstechnologien zu befördern. Dazu gehört auch die Frage, ob wir es richtig finden, dass das, was hier in Deutschland gegen Grundrechte verstoßen würde, zu rechtfertigen ist, wenn man es ins Ausland exportiert. Es ist wenig glaubwürdig, hier den Verteidiger der Freiheit zu geben, während man autokratischen Staaten genau solche Technologie liefert, mit der die Privatsphäre unterminiert und die Meinungsfreiheit, die Informations- sowie die Pressefreiheit ausgehebelt werden können.

Interview: Katja Herzberg

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