Religion ist Pflicht, und Ethik nicht

  • Sven Eichstädt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Religionsunterricht muss an allen Schulen angeboten werden, schreibt das Grundgesetz vor. Dies gilt nicht für das Fach Ethik, wie das Bundesverwaltungsgericht am Mittwoch entschied.

Nach der Entscheidung des sechsten Senats in Leipzig lässt sich aus dem Grundgesetz für die Bundesländer keine Verpflichtung ableiten, nach der sie schon in der Grundschule Ethikunterricht anbieten müssten. »Bei der Einrichtung von Schulfächern verfügt der Staat über Gestaltungsfreiheit«, befand der Vorsitzende Richter Werner Neumann. »Mit dem Verzicht auf die Einrichtung des Fachs Ethik in der Grundschule werden die Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.«

Neumann hatte die Verhandlung dazu genutzt, um darzulegen, dass aus der Sicht der fünf Leipziger Richter keiner der Artikel des Grundgesetzes, die die klagende Mutter aus Freiburg im Breisgau und ihr Anwalt Heinrichs für ihr Anliegen angeführt hatten, ausreicht, damit schon in Grundschulen das Fach Ethik verpflichtend angeboten werden müsste. Die alleinerziehende Mutter von drei Söhnen und promovierte Philosophin hatte vor vier Jahren zunächst beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage eingereicht, weil ihre beiden ältesten Söhne, damals in der zweiten und vierten Klasse einer Grundschule, keinen Ethikunterricht besuchen konnten.

Vor dem Verwaltungsgericht Freiburg unterlag sie im September 2011, ihre Berufung gegen dieses Urteil vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte im Februar 2013 ebenfalls keinen Erfolg. Nachdem sie am Mittwoch am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit ihrer Revision gegen die Mannheimer Entscheidung und damit in der letzten Instanz der Verwaltungsgerichte verloren hatte, bleibt als letzte Hoffnung nur noch die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, die Anwalt Heinrichs angekündigt hat.

»Ein für Eltern einklagbares Recht auf ein Unterrichtsfach kann es nur in Ausnahmefällen geben«, schätzte Richter Neumann schon zu Beginn der Verhandlung ein. »Dazu müsste das Bundesland seinen Bildungsauftrag schon in flagranter Weise verletzt haben.« Das war hier nach Ansicht der Richter eben nicht der Fall. Aus Artikel sechs des Grundgesetzes, in dem der Erziehungsauftrag der Eltern festgeschrieben ist, lasse sich kein Recht auf den Ethikunterricht herleiten. Ebenso könne nicht Artikel drei des Grundgesetzes herangezogen werden, wo festgehalten ist, dass niemand wegen seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. »Eine verfassungswidrige Benachteiligung gegenüber Schülern, die am Religionsunterricht teilnehmen, folgt hieraus nicht«, so Richter Neumann.

Er verwies darauf, dass das Fach Religion, anders als das Fach Ethik, durch das Grundgesetz vorgeschrieben ist - in Artikel sieben. »Daher liegt ein Gleichheitsverstoß nicht vor.« Der Religionsunterricht und das Fach Ethik seien außerdem so verschieden und »wesensfremd«, dass kein Ersatz für den Religionsunterricht verlangt werden könne. »Religionsunterricht ist Glaubensvermittlung, Ethikunterricht hingegen konfessionsübergreifende Wertevermittlung«, ergänzte Neumann.

Der Vorsitzende Richter hielt es für ausreichend, dass in Baden-Württemberg Ethikunterricht erst ab der siebenten oder achten Klasse angeboten wird, weil die Kinder dann »in der schwierigen Phase der Pubertät« seien und ihre Fragen dort stellen könnten. Der älteste Sohn der Mutter aus Freiburg ist inzwischen in diesem Alter, er besucht die achte Klasse.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal