Nicht wegen Guillaume

Vor 40 Jahren trat Willy Brandt als Kanzler zurück - die Spionageaffäre war nur Auslöser

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor vier Jahrzehnten gab Willy Brandt nach der Enttarnung von Günter Guillaume seinen Rücktritt bekannt. Nachfolger Schmidt tat überrascht - dabei hatte er schon lange an Brandts Stuhl gesägt.

Muss ein bundesdeutscher Regierungschef zurücktreten, weil er von einer ausländischen Macht ausspioniert wurde? Angela Merkel ist offenbar nicht dieser Ansicht. Dass sie im Amt von amerikanischen Diensten offenbar umfassend ausgeforscht wurde (und wird?), scheint anno 2014 eine Randnotiz. Fast scheint die Teflonkanzlerin davon sogar zu profitieren - ein bisschen Opferstatus, ein bisschen »Immerhin sind wir wichtig genug für die NSA«.

Ganz im Gegensatz dazu hat sich im Geschichtsbild die Deutung festgesetzt, Kanzler Willy Brandt (1913-1992) habe zurücktreten müssen, weil in seinem unmittelbaren Umfeld mit Günther Guillaume (1927-1995) ein Spion der DDR aufgeflogen war. In der Tat war dies damals ein öffentlicher Aufreger. Schien die Personalie doch weitverbreitete Vorbehalte gegen Brandts Entspannungspolitik zu bestätigen: Das Ende der Konfrontation als Selbstzweck und der weltweit betriebenen Nichtanerkennungspolitik könne doch nur von nützlichen Idioten der Regierung im Osten Berlins eingefädelt worden sein - wenn nicht sogar beeinflusst!

Dabei war der »Kanzlerspion« für die DDR tatsächlich wohl weit weniger ertragreich, als es seine Platzierung im engsten Bonner Zirkel vermuten lassen würde. Zum Persönlichen Referenten des Kanzlers war der 1956 in den Westen übergesiedelte Spion erst 1972 aufgestiegen, wirklich sensible Unterlagen hatte er wohl nur einmal gesehen - 1973, als er die Kanzlerfamilie in den Urlaub begleiten durfte. Der »Focus« will 2012 von einem »hochrangigen Staatsschutzbeamten« die Einschätzung erhalten haben, im Vergleich zu anderen, weit weniger bekannten Westkundschaftern des Ostens sei Guillaume nur ein »Schwachstruller« gewesen.

Neben der Guillaume-Affäre berichtet die Zeitgeschichtsschreibung üblicherweise von »persönlichen« Gründen für Brandts Rücktritt, der dem Bundespräsidenten am Abend des 6. Mai 1974 mitgeteilt wurde. Besonders der mächtige SPD-Fraktionschef Herbert Wehner (1906-1990) war demnach davon überzeugt, Brandt sei gesundheitlich angeschlagen, darüber hinaus depressiv und schon daher nicht zu halten - hinzu kämen die vermeintlichen oder tatsächlichen »Frauengeschichten« des ersten sozialdemokratischen Kanzlers.

All das mag dabei eine Rolle gespielt haben, dass Brandt gerade einmal zwei Jahre nach seinem Triumph gegen eine der aggressivsten Wahlkampagnen der bundesdeutschen Geschichte das Handtuch warf. Entscheidend aber, so schreibt Albrecht Müller in seinem im Dezember erschienenen Buch »Brandt aktuell«, seien auch Strömungskämpfe und Intrigen innerhalb der SPD gewesen. Ihm gegenüber, erinnert sich Müller, habe Brandt einmal resigniert geäußert, es scheine ihm zuweilen so, als wolle seine Partei gar nicht wirklich gewinnen. Zumindest ein wenig fragwürdig scheint im Nachhinein auch die Rolle des langjährigen Brandt-Vertrauten Egon Bahr: Der soll - wie der BND - bereits 1972 gegenüber Guillaume skeptisch gewesen sein. Brandt selbst indes wurde offenbar nicht sofort ins Bild gesetzt. Wurde ein Bundeskanzler als Lockvogel benutzt? Ein konsequenter Schutz von Person und Amt hätte wohl anders ausgesehen.

In seinem Brandt-Buch rekonstruiert Müller, der von 1968 bis 1972 Redenschreiber des SPD-Wirtschaftsministers Karl Schiller (1911-1994) gewesen war, 1972 den Wahlkampf geleitet hatte und bis 1982 als Chef der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt arbeitete, nicht nur die nach seinen Recherchen damals ungeheuerliche 34 Millionen DM teure Anti-Brandt-Kampagne, die aus den Kreisen des »Großen Geldes« organisiert wurde. Er zeigt auch, dass der »Linksruck« Brandts selbst in der SPD seine Gegner hatte.

Wehner etwa soll 1972 in den Koalitionsverhandlungen handschriftliche Vermerke des Kanzlers »vergessen« haben. Und Brandts Wirtschaftsexperte Karl Schiller, der bis heute als »Superminister« tituliert wird, obwohl er gerade ein Jahr zugleich Finanz- und Wirtschaftsminister war, zog sich bei der Regierungsbildung 1972 mit der Klage über mangelnde Unterstützung zurück. Mit dem Abgang des »Keynesianers« Schiller, der auf Nachfragesteuerung statt Sparprogramme gesetzt hatte, war denn auch der Anfang vom Ende des »Linksrucks« schon gekommen.

Auch Schillers schärfster innerparteilicher Gegner hieß übrigens Helmut Schmidt. Der tat ganz überrascht, als Brandt dann schließlich hinwarf. Tatsächlich hatte er aber wohl mit einigem Nachdruck genau darauf hingearbeitet - und aufgrund seiner gesegneten Gesundheit und nach seinem Aufrücken zu einer Art Allzweckheiligen der Republik reichlich Gelegenheit, seine Version der Geschichte zum Besten zu geben.

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