Mexikos Gewaltspirale

Regierung will Bürgerwehren unter Kontrolle bringen

  • Wolf-Dieter Vogel, Michoacán
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Selbstverteidigungsgruppen in Michoacán konnten den Einfluss der Drogenkartelle mit Gewalt zurückdrängen. Nun sollen sie in einer Art Landespolizei aufgehen. Ein gewagtes Unterfangen.

Es hätte der letzte große Schlag gegen die Tempelritter sein sollen. Estanislao Beltrán schoss mehrmals mit seiner Kalaschnikow in die Luft. Dann brüllte der Anführer der Bürgermilizen in die Höhle hinein: »Tuta, ich suche dich immer noch.« Doch der mexikanische Mafiaboss »La Tuta«, der im bürgerlichen Leben Servando Gómez heißt, war längst über alle Berge. Nur eine kaltgestellte Bierdose im Brunnen verwies darauf, dass er sich hier versteckt hatte. Auch an diesem Apriltag sollte der Versuch scheitern, den Chef des Tempelritter-Kartells festzusetzen. Beltráns Truppe musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Und mit ihr ein Kommando der Polizei, das die bewaffneten Selbstverteidigungskräfte im mexikanischen Bundesstaat Michoacán unterstützt.

Dennoch steht außer Zweifel, dass die Milizen die »Caballeros Templarios« sehr geschwächt haben. Seit über einem Jahr kämpfen sie in der südwestmexikanischen Region gegen die Tempelritter, eine der schlagkräftigsten Banden des Organisierten Verbrechens. Sie hatten zu den Waffen gegriffen, weil die Bundesregierung nicht gegen das Kartell vorging und die regionalen Machthaber selbst auf der Gehaltsliste der Kriminellen stehen. Inzwischen arbeiten sie mit den staatlichen Kräften zusammen.

Die Geschäfte der Tempelritter

Hervorgegangen aus der Mafiaorganisation »Familia Michoacana«, gaben sich die Tempelritter lange Zeit als Beschützer der heimischen Bevölkerung. Noch heute pflegen sie einen religiös-patriotischen Diskurs, demzufolge sie die Bürger Michoacáns vor auswärtigen Kriminellen schützen.

Schon lange versuchen rivalisierende Banden wie die »Zetas« sowie das Sinaloa-Kartell und dessen Ableger »Jalisco Nueva Generación«, die Kontrolle in der Region zu übernehmen. Denn der Bundesstaat ist für illegale Geschäfte sehr wichtig: Fast nirgends in Mexiko wird so viel Marihuana und Mohn für die Opiumherstellung angebaut wie in den schwer kontrollierbaren Bergzügen der Sierra Madre im Westen des Landes. An der 271 Kilometer langen Pazifikküste landen zudem im Schutz korrupter Soldaten, Polizisten und Beamten zahlreiche Schnellboote, die kolumbianisches Kokain für den Weitertransport in die USA bringen. Besonders bedeutend ist der Hafen von Lázaro Cárdenas. Etwa die Hälfte aller Waren, die dort verschifft werden, sind nach Expertenschätzungen illegal: Raubkopien, Drogen, Erz. In dem Bundesstaat lagern große Mengen Eisenerz, das sich für die Tempelritter zu einem lukrativen Geschäft entwickelt hat. Sie kontrollieren Abbau und Transport des Rohstoffs, der von chinesischen Banden aufgekauft und von Lázaro Cárdenas nach China verschifft wird. Bei Razzien beschlagnahmten Sicherheitskräfte 119 000 Tonnen Erz und mehr als hundert Bergbaumaschinen, Lastwagen und Bagger. Die Tempelritter haben also allen Grund, ihr Terrain nicht kampflos aufzugeben. wdv

 

 

Am 10. Mai aber soll Schluss sein mit der Selbstverteidigung. Etwa 1500 der autonomen Kämpfer sollen in eine Guardia Rural - eine Landespolizei - übergehen, die dem Verteidigungsministerium untersteht. So sieht es eine Vereinbarung mit der Bundesregierung vor. Aber ob die Milizen auch nur eine Kalaschnikow abgeben, ist fraglich. »Ohne Waffen kann uns jeder Trottel auf dem Fahrrad ermorden«, erklärte José Manuel Mireles, neben Beltrán die wichtigste Figur der Truppe, der mehrere tausend Bewaffnete angehören.

Auf den ersten Blick sind die »Autodefensas« eine Erfolgsgeschichte: Seit sie im Februar 2013 den Kriminellen den Kampf angesagt haben, eroberten die Milizen eine Gemeinde nach der anderen. Vor allem in der Region Tierra Caliente, dem Hauptstützpunkt der Tempelritter, vertrieben sie die Mafia und übernahmen die Kontrolle in zahlreichen Dörfern und Kleinstädten. Abgesehen von »La Tuta« konnten sie alle führenden Bosse festsetzen oder töten. In der Bevölkerung finden sie große Unterstützung. Zwar galten die in Michoacán groß gewordenen »Caballeros Templarios« einst als Schutzmacht gegen »fremde« Mafiagruppen, doch in letzter Zeit sind sie zunehmend gegen heimische Händler, Kleinbauern und Unternehmer vorgegangen: Sie kassieren Schutzgeld, entführen und vergewaltigen Frauen und rauben Eisenerz, das in der Region abgebaut wird.

Die Regierung in Mexiko-Stadt wollte oder konnte die Kriminellen zunächst nicht stoppen. Gegen die Milizen mobilisierte Präsident Enrique Peña Nieto erst die Armee, später änderte er seine Strategie und setzte auf Zusammenarbeit. Nun soll der aus der Hauptstadt entsandte Sicherheitsbeauftragte Alfredo Castillo Beltráns Gruppen in den staatlichen Apparat integrieren. Castillo ist den Milizen ein wichtiger Verbündeter, denn lokalen Politikern trauen sie nicht. Erst letzte Woche wurden der Bürgermeister und der Schatzmeister von Lázaro Cárdenas verhaftet, weil sie für die Tempelritter gearbeitet haben sollen. Zuvor tauchte ein Video auf, das den ehemaligen Gouverneur von Michoacán, Jesús Reyna, im Gespräch mit »La Tuta« zeigte. Gerade in Reynas Amtszeit eskalierte die Gewalt.

Viele Linke blicken kritisch auf die Milizen. So warnt Luis Hernández von der Tageszeitung »La Jornada« vor einer Paramilitarisierung. Einiges weise darauf hin, dass die Bundesregierung schon beim Aufbau der Gruppen ihre Hände im Spiel gehabt habe. Der Journalist sieht Parallelen zur Entwicklung paramilitärischer Gruppen in Kolumbien, die eng an den Staat gebunden seien. Kein Zweifel besteht daran, dass manche der Milizen für andere Kartelle arbeiten. Das bestätigt auch eine letzte Woche veröffentlichte Studie, an der Steven Dudley von der renommierten Organisation »Insight Crime« beteiligt war. Einige »Autodefensas« würden von der organisierten Kriminalität unterstützt, andere von großen Unternehmen, weitere seien in armen ländlichen Zonen entstanden, um familiäre Kleinbetriebe zu schützen. Allein mit einer Entwaffnung und Integration der Milizen sei es nicht getan, schreiben die Autoren und stellen klar: »Nur mit nachhaltigen Investitionen, Wachstum und Entwicklungschancen kann das verteufelte kriminelle Leben in Tierra Caliente durchbrochen werden, wo schon Kinder Mafiabosse werden wollen.«

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