Ohne Erfahrung, aber auch ohne Ego

Alba Berlin startet nach einer überraschend starken Hauptrunde in die Playoffs der Basketball-Bundesliga

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 5 Min.
Nach dem Pokalsieg sehen manche in Alba Berlin auch einen Meisterschaftsfavoriten. Vor allem Trainer Sasa Obradovic gefällt das nicht.

So richtig entscheiden kann sich Marco Baldi nicht. »All das, was wir in dieser Saison gut gemacht haben, müssen wir jetzt mitnehmen, aber eigentlich beginnt alles wieder bei Null«, sagt der Geschäftsführer des Basketball-Bundesligisten Alba Berlin vor den am Samstag beginnenden Playoffs um die deutsche Meisterschaft. In seinen Worten spiegeln sich einerseits Überraschung und Stolz, es mit der neu zusammengewürfelten und eher unerfahrenen Mannschaft schon in diesem Jahr zum Pokalsieg und Platz drei der Bundesligahauptrunde geschafft zu haben, andererseits aber auch die Furcht davor, dass eben jene Spieler das Niveau nun nicht halten könnten, wenn es um den größten Preis geht. Die erste Chance, der Vereinsführung diese Angst zu nehmen, bietet sich ihnen in einer Best-of-five-Serie gegen den Pokalfinalisten aus Ulm.

Trainer Sasa Obradovic meint zu wissen, wie die Playoffs erfolgreicher gestaltet werden können als in den vergangenen fünf Jahren - immerhin liegt die letzte Meisterschaft schon sechs Jahre zurück. »Wir müssen an unserer Philosophie festhalten und weiter aggressiv spielen. Da war ich bisher sehr zufrieden. Aber wir dürfen jetzt nicht die Konzentration verlieren«, warnt Obradovic. Der Halbfinaleinzug sei von Anfang an Ziel gewesen. Dafür müsste Berlin nun Ulm bezwingen. »Bisher haben wir unsere Erwartungen in Eurocup und Pokal übererfüllt. Aber wir haben noch ein großes Ziel vor Augen. Erst wenn wir das erreicht haben, können wir von einer großartigen Saison sprechen.«

Besonders stört sich der Ex-Weltmeister aus Serbien daran, dass seine Trainerkollegen die Berliner mittlerweile schon als Meisterschaftsfavoriten bezeichnen. Ganz zu Unrecht tun sie das nicht, schließlich gewann Alba in dieser Saison zweimal gegen den Hauptrundenersten Bayern München, und auch Titelverteidiger Bamberg wurde mehrfach bezwungen. »Ich finde das nicht besonders fair, denn mit solchen Aussagen erhöhen sie bewusst den Druck auf uns. Sie wollen meinen Spielern einreden, dass wir plötzlich alles gewinnen müssen. Ich habe am meisten Angst davor, dass manche diesem Druck erliegen«, gibt Obradovic zu.

Marco Baldi spricht lieber von »realistischen Einschätzungen«, wenn er betont, dass der zum zweitbesten Spieler der Liga gewählte US-Amerikaner Reggie Redding in seiner Karriere erst ein Playoffspiel gespielt habe - in Zypern! Vor allem Bayern München und Bamberg hätten in Sachen Erfahrung also einen Vorsprung gegenüber seinen Akteuren. Doch die wollen beweisen, dass sie - wie Baldi und Obradovic so gern betonen - wirklich zu einer Einheit zusammengewachsen sind. »Niemand im Team hat ein Ego. Wir wollen nur gewinnen. Und wenn das klappt, ist jedem egal, wer diesmal die Lorbeeren dafür bekommt«, bestätigt der angesprochene Redding.

So ganz unerfahren sei er nebenbei ja nun auch nicht: »Im College war ich vier Jahre lang immer in den Finalwochen dabei«, erinnert sich Redding an das NCAA-Turnier, das jedes Jahr von Millionen Amerikanern verfolgt wird. »Das war noch härter als die Playoffs in Deutschland, also habe ich schon ein bisschen Erfahrung in Drucksituationen. Außerdem habe ich immer abgeliefert, wenn es darauf ankam!« Eine kleine Reminiszenz an seinen Dreipunktwurf gegen Bonn, der Alba erst ins Pokalhalbfinale brachte.

Noch eine Runde später gewannen die Berliner dann das Finale gegen Ulm. In Ulm! »Wir haben sie dreimal geschlagen in dieser Saison, aber nachdem wir in ihrer Halle den Pokal gewonnen haben, wollen sie sich bestimmt revanchieren«, glaubt Redding. »Wir können gewinnen, aber es wird nicht leicht.« Ulm sei ein extrem schwerer Gegner, meint auch Baldi. Schließlich hatte Ulm dem Starensemble Bayern Münchens im Pokalhalbfinale keine Chance gelassen.

Der Schlüssel zum eigenen Erfolg soll nun weiterhin die Abwesenheit jeglicher Stars sein. Alba ist nicht mehr von einem Spieler abhängig, immer wieder springen andere in die Bresche, machen wichtige Punkte, wenn Redding und David Logan mal nicht treffen oder Leon Radosevic jetzt wochenlang verletzt ausfällt. »In diesem Jahr ist unsere Auswechselbank viel tiefer besetzt. Im letzten mussten einige Spieler zu viel und zu lange ran. Die waren in den Playoffs dann nicht mehr frisch. Jetzt haben wir viel bessere deutsche Spieler dabei: Akeem Vargas, Jonas Wohlfarth-Bottermann, Jan Jagla, Alex King - sie alle tragen ihren Teil zu unseren Siegen bei, sind sehr produktiv. Das hatten wir im letzten Jahr nicht«, erinnert sich Trainer Obradovic an die 0:3-Viertelfinalniederlage gegen München im Vorjahr. Damals spielten nur zwei Deutsche tragende Rollen bei Alba: Heiko Schaffartzik und Yassin Idbihi. Beide wechselten danach zu den Bayern.

»Wir konzentrieren uns jetzt nicht mehr auf einen Spieler oder nur ein Modell. Und Playoff-Serien werden ohnehin in der Abwehr entschieden«, sagt Obradovic wohl wissend, dass genau hier die Stärke der aktuellen Berliner Mannschaft liegt. Alba hat in der Hauptrunde die wenigsten Punkte zugelassen.

Doch jene Tabelle sagt bekanntlich in den Playoffs nur noch wenig aus. Alle Beteiligten sind sich sicher, dass jede Viertelfinalserie hart umkämpft sein wird, nicht nur die zwischen Berlin und Ulm. »Alle acht Mannschaften haben ihre Stärken und Schwächen. Jeder kann jeden schlagen. Das werden spannende Wochen«, prophezeit Albas Center Alex King. Und Marco Baldi fügt hinzu, dass kein Team von einem Selbstgänger ausgehen könne: »Wir selbst haben in Ludwigsburg mit 20 Punkten chancenlos verloren, und die sind als Achter gerade noch in die Playoffs gekommen.«

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