Sieben Tage, sieben Nächte

Tom Strohschneider über die Spitzenkandidaten im Europawahlkampf, Sätze über den Ukraine-Konflikt und den Sender Jerewan

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 2 Min.

In den Wochen vor den Wahlen hören wir im Radio noch ein bisschen genauer hin: »Die Spitzenkandidaten der Parteien für die Europawahl befürworten im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise einen harten Kurs gegenüber Russlands Präsident Putin.« Mit diesem Satz hat der Deutschlandfunk am Freitagmorgen seine Nachrichten begonnen; der Satz ist so richtig, wie eine Meldung vom Sender Jerewan eben sein kann: Im Prinzip ja, aber.

Richtig ist, dass die meisten derjenigen, die da als »die Spitzenkandidaten« bezeichnet werden, neue Sanktionen gegen Moskau für sinnvoll halten. Sie vertreten damit eine verbreitete Auffassung, für die allerdings sogar in ihren jeweiligen Parteienfamilien gilt: Ja, aber. Nicht jeder glaubt, dass ein harter Kurs gegenüber irgendwem einen Beitrag leisten kann zur Beilegung eines Konflikts, der nun auch den Wahlkampf zur Europawahl mitbestimmt.

Apropos Wahlkampf: In nämlicher TV-Debatte, über die der Sender Jerewan am Freitagmorgen berichtete, vertrat der griechische Linkenpolitiker Alexis Tsipras die Auffassung, er glaube nicht, die bereits geschlagenen Wunden könnten mit Sanktionen geheilt, geschweige diese könnten irgendeinen Beitrag zur Lösung leisten. Auch er ist Spitzenkandidat zur Europawahl, wird als solcher aber wohl vom Deutschlandfunk nicht richtig an- oder vielleicht auch erkannt. Letzteres wäre kaum überraschend. Nicht einmal jene, die in den Rang der wahren Spitzenkandidaten durch eine andere öffentlich-rechtliche Auslassung erhoben wurden - das TV-Duett ein paar Tage zuvor - , sind große Stars: Ganze 27 Prozent meinen, sie würden den deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz als Spitzenkandidat kennen, nur 15 Prozent haben schon einmal etwas vom Konservativen Jean-Claude Juncker als Frontmann gehört. Das ist nicht viel, und die Unbekanntheit der beiden wird auch nicht dadurch besser, dass in derselben Umfrage unter jenen, die mit beiden nichts anzufangen wissen, eine erkleckliche Zahl trotzdem sagt: Einer von beiden bekommt meine Stimme. Das mag jene verstören, welche Kenntnis über Person und Programm für eine einigermaßen wichtige Voraussetzung eines jeden Wahlaktes halten. Aber im Gesetz steht das nicht.

Vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig. Der Unterschied zwischen Schulz und Juncker besteht praktisch darin, dass der SPD-Mann hierzulande überall von Plakaten lächelt, der Luxemburger dagegen nur als schöne Dialekt-Stimme im Sender Jerewan, äh: im Deutschlandfunk bekannt ist. Politische Unterschiede lassen sich nicht so einfach finden. Wer von beiden und ob überhaupt EU-Kommissionspräsident wird, das entscheidet am Ende sowieso Angela Merkel. Und die ist nicht einmal Spitzenkandidatin. Von Plakaten lächelt sie trotzdem. Und einen »harten Kurs gegenüber Russlands Präsident Putin« ... na ja, Sie wissen schon.

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