Inklusion bei Günther Jauch

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 3 Min.

Günther Jauchs letzte Talkshow hat sich der Inklusion angenommen. Hintergrund ist der Versuch von Henry Ehrhardts Eltern, ihn beim Gymnasium anzumelden, obwohl er Down Syndrom hat und nie einen Schulabschluss bekommen wird. Er soll mit seinen Freunden zusammenbleiben. Denn neben dem allgemeinen sozialen Aspekt, lerne er durch seine Freunde per Nachahmung, argumentieren die Eltern. Das Gymnasium verweigerte dem Jungen die Aufnahme, die Eltern erwirkten eine Petition und scheiterten. Nun entschied der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch, dass das Gymnasium nicht gezwungen werden könne, Henry aufzunehmen.

Die Talk-Runde am vergangenen Sonntagabend brachte keine neuen Erkenntnisse. Dass Menschen mit Behinderungen Teil der Gesellschaft seien und dass inklusive Schule mehr Personal und bessere Ausstattung benötige sowie die Umsetzung der Inklusion Geduld fordere, war und ist unstrittig. Dass der Abend dennoch interessant wurde, lag an der Zusammensetzung der Gästeliste. Mit Carina Kühne war erstmalig ein Mensch mit Down Syndrom in solch einer Runde. Sie hat einen Hauptschulabschluss mit einer 1 in Englisch als Klassenbeste geschafft und spielt fließend Klavier. Weitere Gäste waren Kirsten Ehrhardt, Mutter von Henry, Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Jan-Martin Klinge, Gesamtschullehrer, und Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands. Diese Mischung tat gut, weil mit und nicht über Betroffene geredet wurde. Und so wirkten in diesem Setting die Auslassungen von Kraus mehrheitlich peinlich. Je mehr Argumente für die Inklusion zusammengetragen wurde, desto heftiger verteidigte Kraus das Gymnasium als Schulform, in der wie in keiner anderen die kognitive Leistung zähle und deshalb nicht verwässert werden dürfe. Auf sein Argument, es gäbe ein gutes Förderschulsystem, konterte Kühne: »Ich finde, eine Zwangseinweisung in die Sonderschule zu kriegen, ist auch nicht gerade schön.« Schade, dass nicht herausgearbeitet wurde, wie sehr Inklusion nach einer Gemeinschaftsschule mit individuellen Lernansätzen schreit.

Immerhin, Jauch hat Inklusion versucht und gab dem Thema mediale Aufmerksamkeit. So postet welt.de: »Kraus argumentierte bei Jauch auf eine Art und Weise, die vollkommen aus der Zeit gefallen schien (…) und griff zu billigsten Parolen: ›Opfert eure Kinder nicht auf dem Altar der Inklusion‹, sagte er etwa (…) Im Laufe der Sendung konnte Klinge dann nicht mehr an sich halten. ›Ich finde das ganz furchtbar, was sie sagen, weil das so eine Abschiebehaltung ist‹, sagte er dem Verbandschef.« stern.de titelt: »Henri und die überforderte Elite. Die Talk-Runde bei Günther Jauch redet über Inklusion und erreicht dabei ein beachtliches Niveau. Dennoch fördert sie doch all die alten Vorurteile über Menschen mit Behinderungen zutage.« sueddeutsche.de zitiert Henris Mutter: »›Warum geht es uns immer nur um Leistung? Warum empfinden wir behinderte Menschen nicht einfach als Bereicherung?‹«. faz.net kritisiert dagegen: »Ein Kind mit Behinderung kann nicht immer aufs Gymnasium gehen. Nicht nur das Kind selbst könnte davon überfordert sein, auch Lehrer und Mitschüler.« Und auf rp-online.de heißt es: »In der Debatte kollidieren letztlich Prinzipien miteinander, denen sich unsere Gesellschaft verschrieben hat: Auf der einen Seite das Bekenntnis zu Integration und sozialem Miteinander, auf der anderen Seite der Leistungsgedanke.«

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