Lieber keine Elchtests mit Elchen

Klimaschutz kontra Artenschutz. Die biologische Vielfalt nimmt weiter ab

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Nachwachsende Rohstoffe vernichten Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten, und Windräder töten Vögel. Es ist nicht einfach, den Klima- und den Artenschutz unter einen Hut zu bekommen.

Trotz einiger Erfolge beim Schutz und bei der Pflege von gefährdeten Tier- und Pflanzenarten konnte auch in Brandenburg der zum Teil dramatische Rückgang der biologischen Vielfalt nicht aufgehalten werden. Das ist die Bilanz, die Umweltministerin Anita Tack (LINKE) vorlegte. Diese Tendenz sei in Brandenburg, aber auch deutschland- und europaweit zu beobachten, sagte sie. Sind Millionen und Abermillionen Euro also nutzlos ausgegeben worden?

Das bestreitet die Ministerin entschieden. So habe sich der Aufwand zum Erhalt der Großtrappe gelohnt. Inzwischen gibt es mit 140 Tieren wieder so viele wie vor 1990, sagte sie. Auch dem Biber seien die Schutzmaßnahmen gut bekommen. Es leben jetzt wieder zwischen 2500 und 3000 Exemplare in Brandenburg, wo er schon einmal praktisch ausgestorben gewesen ist. Übrigens entwickelt sich der Biber nicht unbedingt zur Freude von Landwirten und Deichbauern so prächtig, denn diese fürchten um die Früchte ihrer Arbeit.

Auch der Wolf - rund 100 Exemplare sind gezählt - und sogar der Elch sind inzwischen wieder anzutreffen. Offenbar findet der Wolf seine Nahrung zunehmend im Wald, denn die Entschädigungszahlungen der Landesregierung für vom Wolf gerissenes Nutzvieh hat sich von einst 70 000 Euro jährlich auf 6500 Euro im vergangenen Jahr verringert. Bei aller Freude über den Elch - auf den Autobahnen, die das Bundesland durchziehen, oder auf anderen Straßen kann er zu einer Gefahr werden. Von einem Elchtest sei hier dringend abzuraten, sagte Tack.

Von einem Elchtest spricht die Autoindustrie, wenn bei der Entwicklung eines neuen Fahrzeugtyps das Ausweichen vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis geübt wird. Dazu wird die Spur gewechselt - erst abrupt nach links, dann nach rechts. Dabei sollte das Auto weder ausbrechen noch umkippen. Die großen schweren Elche sehen den Verkehr nicht als Gefahr für sich und bleiben auf Straßen einfach stehen. Der Zusammenprall kann die schlimmsten Folgen haben. Gerade wurden in Ostbrandenburg wieder mehrfach zwei Elche gesichtet, die sich aus Polen bis in die Nähe von Berlin vortasteten. Gut entwickelt haben sich auch die Bestände von Kranich, Seeadler und Fischadler, um das Kapitel der positiven Veränderungen abzuschließen.

Ansonsten geht es der Flora und Fauna nicht besonders gut, obwohl ihnen der Mensch in vielen Regionen Brandenburgs, die sich langsam entvölkern, unfreiwillig immer mehr Platz einräumt. Von einem »dramatischen Rückgang« bei Insekten berichtete der Abteilungsleiter Naturschutz im Umweltministerium, Axel Steffen. Gefürchtet wird um die Honigbiene, die unter dem überbordenden Einsatz von Pestiziden leidet.

Das Problem: Auch in Brandenburg herrscht Kapitalismus. Die Verwertung steht im Vordergrund. Mit »nachwachsenden Rohstoffen« wird jede Menge Geld verdient. Monokulturen wie Mais und Raps, die zur Energiegewinnung verheizt werden, setzen den Vogelarten gewaltig zu, die nun kein Stoppelfeld mehr für ihre Nahrungssuche vorfinden. Früher blieben bis zu zwölf Prozent der brandenburgischen Ackerfläche unbearbeitet, weil sich der Anbau dort nicht lohnte. Hier war frohes Brehmsches Tierleben zu beobachten. Inzwischen reduzierten sich die Brach- und Stilllegungsflächen durch den Anbau von Energiepflanzen massiv, was vor allem den Bodenbrütern den Boden entzogen hat. Tack sprach von alarmierendem Rückgang bei Rebhuhn, Kiebitz, Feldlerche und Feldsperling. Den Lurchen geht es kaum besser.

Ein Umdenken habe zwar eingesetzt, doch müsse der Schutz heimischer Arten Bestandteil der Boden- und Waldnutzung werden, wenn das Schlimmste abgewendet werden soll, sagte Tack. Land- und Forstwirtschaft müssten einen erheblich größeren Beitrag als bisher leisten, »wenn die Vielfalt artenreicher Lebensräume nicht auf Rest- und Splitterflächen zurückgedrängt werden soll«.

Der Landtagsabgeordnete Michael Jungclaus (Grüne) bezeichnete ein von Umweltministerin Tack vorgestellte Maßnahmenprogramm zur biologischen Vielfalt als »ersten wichtigen Schritt«. Er sieht aber die Gefahr, dass Konflikte innerhalb der rot-roten Landesregierung kleine Erfolge wieder zunichte machen. Insbesondere der Kurs von Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD), der den Ökolandbau lange vernachlässigt und die Schäfer sich selbst überlassen habe, »und heute der Massentierhaltung zujubelt« sei »kontraproduktiv«.

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