Wahlsieg der Front National hat Frankreich geschwächt

In Europa kann Paris jetzt weniger durchsetzen denn je / Sozialisten ebenso wie Konservative in einer tiefen Krise

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Frankreich diskutiert nicht nur über den Triumph der rechtsextremen Front National, auch ein neuer Skandal bei den bürgerlichen Konservativen erregt die Gemüter.

Dass in Frankreich jeder vierte Wähler für die rechtsextreme Partei Front National (FN) votierte, hat der Parteivorsitzenden Marine Le Pen förmlich Flügel verliehen. FN sei nunmehr die stärkste Partei im Lande, betont sie seitdem in jedem Interview unter Hinweis auf das Wahlergebnis. Dabei setzt sie wohl auf die Vergesslichkeit des Publikums. Zwar haben am Sonntag 4,7 Millionen Franzosen für FN gestimmt, aber bei der Präsidentschaftswahl 2012 hatte Marine Le Pen sogar 6,4 Millionen Stimmen eingefahren. Der hohe FN-Prozentsatz resultiert also aus einer niedrigeren Wahlbeteiligung.

Und auch wenn FN jetzt mit 24 Abgeordneten ins Europäische Parlament einzieht, wo sie bisher nur drei Sitze hatte, dürfte ihr Einfluss dort sehr begrenzt sein, zumal völlig offen ist, ob die Partei nach dem Einbruch ihrer niederländischen Hauptverbündeten von der PVV überhaupt genügend Partner zur Bildung einer Fraktion findet. In Brüssel und Straßburg werden die Rechtsextremisten und Rechtspopulisten vor allem ihr Störpotenzial einsetzen.

Gravierender sind die Folgen der Kräfteverschiebung für die französische Innenpolitik. Darüber ist sich Marine Le Pen im Klaren und darum pokert sie mit der lautstarken Forderung an Präsident François Hollande, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen - allerdings nicht, ohne zuvor ein neues proportionales Wahlrecht einzuführen, das »den Willen der Franzosen gerechter umsetzen würde«.

Marine Le Pen ist es tatsächlich gelungen, nicht nur die Politik der fast ausschließlich mit Sozialisten besetzten Regierung zu diskreditieren, sondern auch große Teile der enttäuschten ehemaligen PS-Stammwähler und der durch die Globalisierung und Liberalisierung verunsicherten Franzosen auf ihre Seite zu ziehen. So stimmten am vergangenen Sonntag 43 Prozent der Arbeiter für FN, nur acht Prozent für die Sozialisten, bei den Angestellten waren es 38 Prozent gegen 16 und von den Arbeitslosen entschieden sich 37 Prozent für FN und nur 14 Prozent für die PS.

Das Wahlergebnis war für die Sozialisten das schlechteste seit der ersten Europawahl 1974. Selbst wenn man zu den knapp 14 Prozent für die PS noch die kaum 9 Prozent für die Grünen, die 6,33 Prozent für die Linksfront, die 1,6 Prozent für die extreme Linke und die 3,2 Prozent für weitere linke Listen hinzuzählt, ergibt dieser »Linksblock« - rein theoretisch, weil die Parteien in der Praxis nicht zusammenarbeiten - nur 34 Prozent der Wählerstimmen. Eine schwache Basis für eine »linke« Regierung.

Präsident Hollande hat am Montagabend in einer Fernsehansprache das Wahlergebnis als »schmerzhaft« bezeichnet und es als »Ausdruck des Misstrauens gegenüber Europa, der Regierung und der Politik überhaupt« charakterisiert. Doch er bekräftigte, dass er von seinem Kurs nicht abweichen will, der vor allem auf den Abbau der Arbeitslosigkeit, die Verbesserung der Kaufkraft und auf mehr soziale Gerechtigkeit ziele. Er wolle »Frankreich reformieren und Europa umorientieren in Richtung auf mehr Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Investitionen«. Europa sei für die Menschen »fern und unverständlich«, räumte Hollande ein und urteilte, dass »die drastische Spar- und Maßhaltepolitik letztlich die Völker entmutigt«.

Der Abgeordnete Christian Paul vom linken PS-Flügel bezeichnete die Äußerungen des Präsidenten als »schwach und enttäuschend«. Man habe Hollande »rechtzeitig gewarnt, nicht auf diesem Kurs zu bleiben, weil er unweigerlich gegen die Wand führt«. Die Wirtschaftszeitung »Les Echos« kommentierte: »Frankreich geht geschwächt aus dieser Wahl hervor, denn die Wähler haben zwar für eine Änderung der Politik Europas gestimmt, aber gleichzeitig hat dieses Votum Frankreich unfähig gemacht, eine solche Änderung seinen Partnern gegenüber durchzusetzen.«

Neues Wasser auf die Mühlen der FN-Kritik an den etablierten Parteien liefert eine Finanzaffäre der konservativen Oppositionspartei UMP, die Parteichef Jean-François Copé am Dienstag zum Rücktritt zwang: Das PR-Unternehmen Bygmalion, das Copé nahe steht, hat im Präsidentschaftswahlkampf 2012 durch »falsche Rechnungen« die um elf Millionen Euro überhöhten Ausgaben des UMP-Kandidaten Nicolas Sarkozy kaschiert. Die UMP steckt in einer tiefen Krise und Präsident Hollande ist höchst unbeliebt - was, wenn Marine Le Pen die Präsidentschaftswahlen 2017 gewinnt?

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