Widerwillen gegen eine Auszeichnung

Journalisten, der Henri-Nannen-Preis und die NS-Geschichte

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor knapp einer Woche sorgte der deutsch-amerikanische Journalist Jacob Appelbaum mit der Ankündigung für Aufsehen, er werde die Skulptur des »Stern«-Gründers Henri Nannen, die ihm anlässlich der Verleihung des nach dem 1996 verstorbenen Journalisten benannten Preises überreicht wurde, einschmelzen lassen. »Ich lehne es ab, den Namen zu tragen und den Kopf eines Mannes zu präsentieren, der Propaganda für die Nazis gemacht hat«, begründete Appelbaum diesen Entschluss bei seiner Rede zur Eröffnung des Festivals Theater der Welt in Mannheim. Er hätte nicht den Mut gehabt, diesen Schritt bereits während der Preisverleihung Mitte Mai anzukündigen. Seine Ehrung durch die Jury stellte Appelbaum, der als Vertrauter des NSA-Enthüllers Edward Snowden gilt, allerdings nicht infrage. Appelbaum wurde zusammen mit seiner Kollegin Laura Poitras und neun Redakteuren des »Spiegel« in der Kategorie Investigation ausgezeichnet. Zu den früheren Preisträgern gehört auch der im vergangenen Jahr verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki.

Jetzt erwägt die US-Journalistin Laura Poitras, dem Beispiel von Jacob Appelbaum zu folgen. »Auch ich denke darüber nach, das Preisgeld zu spenden und die Büste einzuschmelzen«, sagte Poitras am Mittwoch dem NDR-Medienmagazin »Zapp«. Poitras kritisiert vor allem Nannens Mitwirken als Sprecher in Leni Riefenstahls zweiteiligem Olympia-Film. »Als Dokumentarfilmerin steht Riefenstahl für das schreckliche Erbe, mit dokumentarischen Bildern den Faschismus zu fördern«, so Poitras.

Beim Verlag Gruner + Jahr, der den Preis seit 2005 verleiht, reagierte man auf die Ankündigung der beiden Preisträger mit Unverständnis. Der frühere »Stern«-Chefredakteur und Mitinitiator des Preises, Thomas Osterkorn, erklärte der Nachrichtenagentur dpa, das Wirken Henri Nannens während des Zweiten Weltkriegs in einer Propagandaeinheit sei allgemein bekannt. »Er hat daraus auch keinen Hehl gemacht und später mehrfach bedauert, was er damals an Propagandazeug geschrieben hatte.« Nannen auf seine Aktivität in der Nazi-Zeit zu reduzieren, sei nicht angemessen.

Unverständnis über das Verhalten von Appelbaum äußerte auch Stephanie Nannen, Enkelin und Biografin des »Stern«-Gründers. Ihr Großvater sei nach dem Krieg der erste gewesen, der sich hingestellt und gesagt habe: »Ich war zu feige«, schrieb sie am letzten Samstag in einem Gastbeitrag für den Berliner »Tagesspiegel«. Nannens »Führer«-freundlichen Worte hätten sich nur auf wenige Artikel in Kunstzeitschriften beschränkt. Ihr Großvater sei schon allein deshalb kein NS-Anhänger gewesen, weil seine jüdische Freundin Cilly verfolgt wurde und ihm unter anderem aufgrund dieser privaten Nähe Berufsverbot erteilt worden sei.

Henri Nannen verbrachte die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs als Kriegsberichterstatter an der Ostfront, in den letzten Kriegsmonaten war er Mitglied einer Propagandaeinheit in Italien, die Flugblätter zur Demoralisierung der alliierten Soldaten produzierte. Erkenntnisse über eine Mitgliedschaft Nannens in der SS existieren nicht.

Im Internet wurde größtenteils ebenfalls mit Unverständnis auf die Ankündigungen von Appelbaum und Poitras reagiert. Dies sei »ein unerklärlicher Affront gegen Jury und Preisstifter«, heißt es auf der Seite des Online-Magazins meedia.de. Die beiden Preisträger hätten sich vorab über die Vergangenheit Nannens informieren können. Eine solche Auszeichnung im Nachhinein abzulehnen, sei »merkwürdig«.

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