Die Irrfahrt der »Cap Anamur«

Die medienwirksame Rettungsaktion des Schiffs ist bis heute umstritten

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 2 Min.

Seit vier Tagen hockten die 37 afrikanischen Flüchtlinge in ihrem Boot, als die »Cap Anamur« sie Ende Juni 2004 rettete. Das Flagschiff der gleichnamigen Hilfsorganisation kreuzte damals im Mittelmeer, um möglichst viele der Verzweifelten aufzunehmen, die sich von der nordafrikanischen Küste aufmachten, um in Europa ein vermeintlich besseres Leben zu beginnen. Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel erfasste die Brisanz der Situation und ließ sich zusammen mit zwei Kamerateams an Bord des Schiffes bringen. Als ehemaliger Journalist wusste Bierdel, wie er die sich abzeichnende Odyssee medienwirksam in Szene setzen konnte. So verfolgte halb Deutschland die Irrfahrt der »Cap Anamur« und das administrative Tauziehen mit den italienischen Behörden. Diese zogen eine bereits erteilte Genehmigung für das Anlegen des Schiffes wieder zurück.

Erst als einige der an Bord befindlichen Flüchtlinge mit Selbstmord drohten, gaben die Italiener grünes Licht. Nach dreiwöchiger Blockade lief die »Cap Anamur« in den sizilianischen Hafen Porto Empedocle ein. Dort wurden Bierdel, sein Kapitän und der Erste Offizier wegen »Beihilfe zur illegalen Einreise« festgenommen. Auch die 37 Asylsuchenden sperrte man ein. Das Schiff wurde beschlagnahmt. Nach europaweiten Protesten ließ man Bierdel und die beiden Seeleute laufen. 2009 sprach ein Gericht im italienischen Agrigent den Cap-Anamur-Vorsitzenden frei. Auch für Kapitän Schmidt und den Ersten Offizier Vladimir Daschkewitsch blieb der Vorfall ohne juristische Folgen.

Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung war Bierdel seinen Chefposten bei Cap Anamur bereits los. Denn innerhalb der Organisation hatte es viel Kritik gegeben am Einsatz vor Sizilien. Vereinsgründer Rupert Neudeck meinte gar, Bierdel habe mit seinem Vorgehen die Existenz der Organisation aufs Spiel gesetzt. Auch die medienwirksame Inszenierung stieß auf viel Unverständnis bei den Cap-Anamur-Oberen. So trugen die Flüchtlinge an Bord des Schiffes T-Shirts der Organisation. Zudem stammten die Asylsuchenden nicht, wie anfangs behauptet, aus den Bürgerkriegsregionen Sudans, sondern aus Ghana, Niger und Nigeria. Sie wurden später aus Italien ausgewiesen. Bierdel selbst räumte ein, erst spät Kontakt zu den italienischen Behörden gesucht zu haben. Die Aktion hatte einen fatalen Nebeneffekt: Sie wirkte für viele Schiffsführer wie ein Präzedenzfall. Aus Angst vor juristischen Unwägbarkeiten weigerten sich viele Kapitäne, die auf dem Meer treibenden Flüchtlinge zu retten.

Trotz aller Kritik an Bierdel und seiner Inszenierung: Die von zwei Reporterteams dokumentierte Irrfahrt machte Europa deutlich, was sich an seiner Südgrenze tat. Dabei war die Situation auf dem Mittelmeer im Jahre 2004 noch vergleichsweise ruhig. Nordafrikanische Potentaten wie die mittlerweile gestürzten Gaddafi und Ben Ali sorgten mit Billigung der EU dafür, dass es viele Flüchtlinge nicht einmal in die Boote schafften.

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