Eine neue Lage

  • Attila Király
  • Lesedauer: 4 Min.
Der umtriebige Geist von Attila Király, die „Geißel Gottes“ und Begründer des Reiches der Hunnen, findet keine Ruhe. Exklusiv für WeltTrends kommentiert er regelmäßig die Geschehnisse der Weltpolitik.
Der umtriebige Geist von Attila Király, die „Geißel Gottes“ und Begründer des Reiches der Hunnen, findet keine Ruhe. Exklusiv für WeltTrends kommentiert er regelmäßig die Geschehnisse der Weltpolitik.

Nach dem Kalten Krieg nahmen viele Beobachter an, mit der Sowjetunion sei nun auch Russland auf Dauer abgemeldet. Die Zeit weltpolitischer Konkurrenz vorbei. Die USA seien nun die einzige Weltmacht und strebten die Beherrschung Eurasiens an, womit verhindert würde, dass je wieder eine konkurrierende Macht entsteht. Das ist gescheitert, nicht nur wegen der Niederlagen der USA und des Westens in Irak und Afghanistan.

Einer der neuen US-amerikanischen Vordenker, Parag Khanna, ging in seinem 2008 erschienenen Buch »The Second World« davon aus, es gäbe am Beginn des 21. Jahrhunderts drei Imperien: die USA, die Europäische Union und China. Russland ordnete er, wie Indien, Japan, Brasilien, in eine »Zweite Welt« ein, in der sich der Kampf zwischen den drei Imperien um Macht und Einfluss in der Welt entscheide. Ganz in diesem Sinne hat US-Präsident Obama Russland kürzlich als Regionalmacht bezeichnet, und dies zu einem Zeitpunkt, da es sich gerade auf der Bühne der Weltpolitik zurückgemeldet hat.

Die »Ukrainekrise« des Jahres 2014 hatte vor wenigen Monaten niemand für möglich gehalten. Der Westen meinte, mit dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und der Installation einer prowestlichen Regierung in Kiew den Kampf um die Ukraine gewonnen zu haben. Bei der Zusammenstellung der Ministerliste waren sich jedoch die Außenpolitiker der USA und der großen EU-Länder in die Haare geraten; das »Fuck the EU« von Victoria Nuland ging durch alle Medien. Derweil entschied sich die Mehrheit der Bevölkerung der Halbinsel Krim in einer Volksabstimmung für die Sezession von der Ukraine und einen Beitritt zu Russland. Völkerrechtlich ist dies fragwürdig, machtpolitisch aber inzwischen vollzogen. Russland musste vom Westen als wieder eigenständig agierende Macht hingenommen werden.

Es folgten Proteste in der Ostukraine, die auf eine Autonomie innerhalb der Ukraine oder gar Lostrennung zielen. Aus der Sicht Kiews sind dies »Terroristen«, aus der ihrer Unterstützer Antiterrormaßnahmen» militärisch keinen Erfolg. Die Militärführung beschwerte sich, von der örtlichen Polizei nicht genügend unterstützt zu werden. Das Genfer Außenministertreffen zur Ukrainekrise Mitte April hatte eine Deeskalation der Lage erreichen sollen. Die prorussischen Milizen erklärten während der Ostertage,sie würden die Besetzung von Gebäuden und ihre Waffen nicht aufgeben, solange die Bewaffneten vom Maidan nicht abgezogen werden, während dort behauptet wurde, sie seien die wirklichen Freiheitskämpfer und würden deshalb nicht unter die Genfer Vereinbarung fallen.

Westliche Regierungen behaupteten dann, Russland müsse dafür sorgen, dass die Milizen in der Ostukraine ihre Waffen abgeben und die besetzten Gebäude verlassen. Vom Gegenzug auch hier keine Rede. Der ukrainische Soziologe Volodimir Ishtshenko aber schrieb: «Die Anti-Maidan-Demonstranten des Ostens sind nicht unvernünftiger als die Protestierenden auf dem Maidan, die von Europa geträumt haben, stattdessen aber eine neoliberale Regierung erhalten […] Für diejenigen, die die Graswurzel-Bewegungen auf dem Maidan gefeiert haben, mag es paradox klingen: Die Anti-Maidan-Bewegung ist weitaus basisorientierter, dezentraler und netzwerkartiger als die auf dem Maidan und die soziale Basis des dortigen Protests scheint pöbelhafter, ärmer und ungebildeter.» Es sei nicht schwierig, im Sinne russischer Interessen einen dezentral organisierten Aufstand verängstigter Menschen zu provozieren.

Selbst wenn man das mit dem Provozieren ernst nimmt, heißt es aber doch, die Menschen dort agieren von sich aus, nicht Moskaus wegen. So ist fraglich, ob sie auf Weisung aufgehalten werden könnten. Letztlich geht es darum, ob die Regierenden oder die Demonstrierenden entscheidend sind. Gemeinsamkeiten zwischen dem Kriegsausbruch von 1914 und der Ukrainekrise sieht der viel zitierte Historiker Christopher Clark nicht. Wir seien «klüger als vor 100 Jahren». Auf einer Veranstaltung des Auswärtigen Amtes in Berlin zu 1914 setzte er hinzu, heute habe der Westen «alle Karten in der Hand». Das aber ist zu bezweifeln.

Der Zwischenruf erschien in WeltTrends Nr. 96 «Deutsche Außenpolitik kontrovers» (Mai/Juni 2014).

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