Landesweiter Streik geplant

In Großbritannien könnten sich am 10. Juli Millionen an Arbeitsniederlegungen beteiligen

  • Christian Bunke
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Sparprogramme zeigen auch in Großbritannien Wirkung. Die Löhne sind eingefroren, viele Menschen müssen bei Ernährung oder Bekleidung sparen. Es reicht jetzt, sagen die Gewerkschaften.

London. Am 30. November 2011 gab es den größten Streik der britischen Geschichte. Fast alle Gewerkschaften des öffentlichen Sektors riefen gemeinsam gegen die Sparpolitik der britischen Koalitionsregierung zu Arbeitsniederlegungen auf. Es war ein kraftvolles Aufbruchssignal mit historischer Bedeutung. In jeder Stadt demonstrierten Zehntausende gegen Lohnkürzungen, Personalabbau und Angriffe auf die Schwächsten der Gesellschaft, alte Menschen und Behinderte. Seit 1926 hatte es auf der Insel nicht mehr solch einen Streiktag gegeben.

Danach kam von den Gewerkschaften lange nichts. Zumindest nicht auf nationaler Ebene. Lokal gab und gibt es eine Vielzahl von Auseinandersetzungen. Es gibt auch immer wieder landesweite Streiks einzelner Gewerkschaften oder beispielsweise bei der Londoner U-Bahn. Zuletzt streikten die Feuerwehrleute gegen die Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit.

In der kommenden Woche werden die Gewerkschaften in Großbritannien wieder international für Schlagzeilen sorgen. Am 10. Juli werden etwa zwei Millionen Beschäftigte in England, Wales und Nordirland die Arbeit niederlegen. Es handelt sich um kommunale Angestellte, Lehrer, Angestellte staatlicher Behörden und Arbeiter im öffentlichen Dienst wie etwa die Müllleute.

Sie alle fordern eine Gehaltserhöhung - die erste seit 2010. Seit vier Jahren herrscht im britischen öffentlichen Dienst der »pay freeze« - die Gehälter sind eingefroren, beziehungsweise sie steigen pro Jahr um höchstens ein Prozent. Das hat für die Betroffenen katastrophale Folgen.

So wird in den Kommunen die Axt an den Personalbestand gelegt. Die Stadt Manchester etwa hat seit 2010 etwa 31 Prozent des Personals abgebaut. Das sind 4000 verlorene Arbeitsplätze.

Die verbliebenen Beschäftigten gehören zunehmend zu den »working poor«. 4,8 Millionen Niedriglöhner gibt es in Großbritannien. Jeder zehnte von ihnen arbeitet für die Kommunen. Die Löhne stagnieren, darüber hinaus werden Zusatzleistungen gekürzt. Vielerorts gibt es keine Pendlerpauschale mehr. Überstunden werden nicht mehr bezahlt. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es nur noch bedingt, und bezahlter Urlaub gehört immer öfter der Vergangenheit an.

In Deutschland kennt man mittlerweile die durch Sparpolitik verursachte Massenverarmung in Griechenland. Doch Großbritannien holt kräftig auf. Vier Millionen Menschen können sich nicht gesund ernähren. 5,5 Millionen können sich nicht richtig einkleiden. 33 Prozent aller Haushalte müssen auf Grundbedürfnisse des täglichen Lebens verzichten, um über die Runden zu kommen.

Deshalb fordern die Gewerkschaften der Beschäftigten bei den Kommunen gemeinsam ein Pfund mehr Stundenlohn für jeden. Die Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS fordert fünf Prozent mehr Lohn. Und die Lehrergewerkschaft NUT möchte die Einführung von leistungsbezogenem Entgelt, »performance relatet pay«, verhindern. Dabei handelt es sich um die Idee von Bildungsminister Michael Gove, Schulleitungen zukünftig die Möglichkeit zu geben, jeden Lehrer individuell zu bezahlen. Landesweit gültige Lohnstrukturen sollen bei den Schulen abgeschafft werden.

Am 2. Juli bestätigte die Feuerwehrgewerkschaft FBU, sich am Streiktag beteiligen zu wollen. Auch die Londoner U-Bahn wird betroffen sein. Seit dem 1. Juli streiken jene Beschäftigten, die für die Elektrizitätsversorgung der U-Bahnstationen zuständig sind, gegen drohende Lohn- und Rentenkürzungen. Acht Streiktage sind bislang geplant, einer davon fällt auf den 10. Juli.

Der geplante große Streiktag kommt rund zehn Monate vor den nächsten Parlamentswahlen. Die Strategie vieler britischer Gewerkschaftsführer sieht vor, bis dahin still zu halten und auf einen Wahlsieg der Labour Partei zu hoffen. Len McLuskey, Generalsekretär der Großgewerkschaft UNITE, nannte letzteres während einer Rede in Liverpool am vergangenen Montag die größte Herausforderung für seine Gewerkschaft für die kommenden Monate.

Dass es jetzt dennoch zu einem gemeinsamen Streik mehrerer Großgewerkschaften gegen die Einsparungen kommt, liegt am wachsenden Druck an der Gewerkschaftsbasis und der kontinuierlichen Arbeit der im National Shop Stewards Network organisierten Gewerkschaftslinken. Dieses Netzwerk gewerkschaftlicher Vertrauensleute fordert seit 2010 den Generalstreik gegen die Regierung ein. Dieser Aufruf wird vom linken Flügel der Gewerkschaftsbewegung, allen voran der PCS und der Transportarbeitergewerkschaft RMT geteilt.

Hinzu kommt, dass die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst, vor allem im kommunalen Bereich, auch eine Auseinandersetzung mit der Labour Partei sind. Denn Stadt- und Gemeinderäte hätten durchaus die Möglichkeit, Einsparungen zu vermeiden. Die Reservekoffer der Kommunen sind gut gefüllt. Doch die große Mehrheit aller Labour Stadträte unterstützt die Einsparungen. Labour Parteichef Ed Miliband erklärte vor kurzem auf einem Gewerkschaftstag, den Streik am 10. Juli nicht zu unterstützen.

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