Mal was ganz Neues

Wolfgang Storz über Streitkultur in der Linkspartei, Produktion negativer Emotionen - und politische Anziehungskraft

  • Wolfgang Storz
  • Lesedauer: 3 Min.

Respekt, Vertrauen, Empathie - vermutlich wird mit keinem Begriffstrio mehr Schindluder getrieben. Die Management-Literatur ist seit Jahren voll davon, eine wachsende Coaching-Industrie verdient sich ihr Geld mit der Konstruktion von Plätzchen emotionalen Wohlbefindens in einer grundsätzlich inhumanen Arbeitswelt.

Bei linken politischen Organisationen gibt es diese Diskrepanz zwischen Wort und Tat sehr selten. Denn deren Funktionäre und Politiker verwenden diese Begriffe gar nicht. Wo sollten sie in ihren Reden und Schriften dieses in ihren Ohren gefühlige inhaltsleere Gesülze überhaupt platzieren? Da ist kein Platz, denn den brauchen sie allein für die richtigen Inhalte. Zuvor verbissen bis zum letzten Spiegelstrich und Komma ausgekämpft, und dann in einer Sprache abgefüllt, die an gefühlsferner Abstraktheit unüberbietbar ist.

Den schäbigen Inhalt gibt es in linken Kreisen also pur, ohne Girlanden.

Jüngst sortierte ein No-go-Papier aus der Parteizentrale der Linken den personellen Bestand nach politischer Tauglichkeit. Schon früher kursierte ein Liederbuch mit herabwürdigenden Texten über hochrangige Parteirepräsentanten. Und noch früher wurde auf einer feierlichen Veranstaltung vor laufenden Kameras dem damaligen Bundesgeschäftsführer das Vertrauen entzogen.

Diese drei unterschiedlichen Fälle zeigen: Es wird in dieser Partei lagerübergreifend nach Nützlichkeit ein Klima wahlweise geduldet, erduldet oder betrieben, in dem das Zerstörerische grundsätzlich einen Platz hat.

Wer mit Mitgliedern der Partei redet, der hört: Dass die Medien das ständig aufgreifen, das ist typisch Linken-Hetze, denn in die anderen Parteien ist das nicht anders.

Nun ist der Hinweis auf die ebenfalls bösen Anderen zwar per se von drittklassiger Qualität, richtig jedoch ist: In jeder politischen Organisation gibt es schonungslose Kämpfe um Einfluss, Posten und Positionen. Aber es ist ein Unterschied, ob sie in Hinterzimmern ausgetragen werden oder auf offener Bühne. Ob verletzende Urteile gesagt oder schriftlich penibel festgehalten werden. Und es ist ein Unterschied, ob ein parteiinterner Gegner »nur« bekämpft oder sein abgrundtief gewünschter Untergang noch in fröhlichen Singstunden kultiviert wird.

Es ist über die Jahre auch bei demjenigen, der nur einen Ausschnitt dieser Welt wahrnimmt, der Eindruck aufgekommen: Wenn in der Linkspartei gestritten wird, dann oft so böse, so verletzend, so maß- und rücksichtslos, dass die Chance auf Wiedergutmachung, auf ein Zurückholen des im Zorn Gesagten von vornherein ausgeschlossen ist. Das macht das Zerstörerische aus, wohl-genährt von dem Missverständnis, inhaltlicher Streit zwischen Ost und West, Reformern und Traditionalisten, Regierungswilligen und -unwilligen, zwischen jenem und diesem Lager, zwischen jenem und diesem Nicht-Lager sei nur dann ein ernstzunehmender Streit, wenn er kein Erbarmen kennt. So wird die Produktion negativer Emotionen zu einer weithin ausgeübten und geduldeten linken Fingerfertigkeit.

Ich stelle mir vor, es gibt etwa 300 oder 500 Leute in Kommune, Land und Bund, welche die Geschicke dieser Partei als wichtige Funktionäre, Politiker und Meinungsmacher im weitesten Sinne mitbestimmen. Und diese Gruppe würde mit einem technischen Verfahren fotografiert, das auf der Abbildung die Verletzungen in Gedanken, Seelen und Herzen sichtbar zu markieren in der Lage wäre - man sähe ein Lazarett. Und Ärzte versetzten ihre Maßstäbe für psychische Überlebensfähigkeit.

Über den Erfolg der Linkspartei, ihre Regierungsfähigkeit in den Augen der Öffentlichkeit, über ihre Attraktivität jenseits der Wahlabendzahlen entscheidet nicht, ob sie fähig ist, die noch richtigeren aller richtigen Analysen anzustellen und richtig-richtigere Forderungen als alle anderen zu erheben.

Über diese Anziehungskraft entscheidet allein, ob sie sich für eine Kultur entscheidet, die ganz selbstverständlich das Zerstörerische mit jenem gefühligen Gesülze verbannt, mit dem der echte deutsche Linke offensichtlich gar nicht gut umgehen kann: den harten Streit nur noch in den Grenzen zulassen, die von Manieren, einem halbwegs menschlichen Umgang, Respekt und Empathie abgesteckt werden. Eine Vertrauen erweckende linke Partei - mal was ganz Neues.

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